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Aus: Ausgabe vom 31.07.2025, Seite 4 / Inland
Solidarität mit Palästina

Diesmal nicht strafbar

Berlin: Vorwurf der Hamas-Unterstützung gegen Aktivistin wurde fallen gelassen
Von Dieter Reinisch
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Yasemin Acar spricht auf der Kundgebung vor dem Amtsgericht Tiergarten (Berlin, 30.7.2025)

Mehrere Dutzend propalästinensische Aktivisten haben sich am Mittwoch vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin versammelt, um Yasemin Acar zu unterstützen. Die Teilnehmerin der »Gaza Freedom Flotilla« saß dort seit neun Uhr früh auf der Anklagebank.

Ihr wurden mehrere »Straftaten« vorgeworfen, hauptsächlich die Verwendung der Losung »From the River to the Sea, Palestine Will Be Free« auf Kundgebungen in Berlin und auf ihrem Instagram-Account. Bei den anderen Punkten ging es um Beleidigung von Beamten, Widerstand und das Werfen eines Regenschirms auf einen Polizisten während eines Protests.

Zeugen waren keine gekommen, ihre Aussagen wurden statt dessen verlesen. Ebenso wie ein Gutachten von jW-Kolumnistin Helga Baumgarten, emeritierte Professorin an der palästinensischen Hochschule in Birzait. Darin legt sie dar, wieso besagter Slogan nicht der Hamas zugerechnet werden könne, so wie es die Staatsanwaltschaft unterstellte. Diese behauptete, Acar würde damit Propaganda für eine »terroristische Organisation« machen.

Acar und ihr Anwalt Matthias Schuster legten die Verteidigung von Beginn an bewusst politisch an. Die Angeklagte verlas eine neunseitige Erklärung – eine Kopie liegt jW vor –, die sie mit den Worten begann: »Es geht um die Frage, wie wir als Gesellschaft mit Protesten umgehen, wenn Menschen auf Unrecht aufmerksam machen.« Ihre Erfahrungen als Migrantin hätten sie früh gelehrt, »dass Widerstand nicht nur berechtigt, sondern notwendig ist. Nicht wegzusehen, sondern sich aktiv für Veränderungen einzusetzen«, erklärte sie. Und weiter: »Ich stehe hier, weil ich das sage, was in diesem Land nicht gesagt werden darf: Dass Menschenrechte nicht verhandelbar sind. Dass Besatzung niemals Selbstverteidigung ist. Dass Schweigen in Anbetracht von Völkermord Beihilfe ist.«

Ähnlich äußerte sich auch ihr Anwalt in seinem Schlussplädoyer: Er sei durch das Massaker in Srebrenica politisiert worden. Die Nürnberger Prozesse seien eine »einzigartige Errungenschaft, hinter die wir nicht zurückfallen dürfen«, so Schuster. Es habe in den letzten Jahren viele Genozide gegeben, doch der »Völkermord in Gaza ist von besonderer Bedeutung, aufgrund Nähe und Erfahrbarkeit«.

Dem schloss sich schlussendlich der Richter an. Die Anklage aufgrund der Parole wurde fallengelassen. Er habe »Hochachtung für ihren Einsatz«, sagte er zu Acar: »Sie sprechen sicherlich einigen Leuten aus der Seele.« Die Losung werde von verschiedensten politischen Akteuren weltweit verwendet, um Kritik am israelischen Vorgehen in Gaza zu äußern, betonte er. Diese Menschen seien »nicht da, um die Hamas zu unterstützen, sondern um Palästina zu unterstützen«.

Am Mittwoch war die Parole also nicht strafbar, doch damit gab sich das Amtsgericht nicht zufrieden. In einer Erklärung zum Prozessausgang teilte Gerichtssprecherin Lisa Jani mit: »Eine Richtungsentscheidung des BGH liegt zu der Parole damit noch nicht vor. Und wie immer bei uns Jurist:innen kommt es auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an.« In den anderen Anklagepunkten wurde Acar zu 120 Tagessätzen à 20 Euro verurteilt.

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