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Aus: Ausgabe vom 30.07.2025, Seite 15 / Antifaschismus
Geschichtspolitik

Zurück zur »klaren Haltung«

Neuer Kulturstaatsminister Weimer will bis Herbst Gedenkstättenkonzept vorlegen
Von Ulrich Schneider
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Eine Besuchergruppe in der Gedenkstätte Sachsenhausen (Oranienburg, 27.8.2024)

Wer sich der Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen – diesen Satz des spanischen Philosophen George Santayana hört man bei vielen offiziellen Gedenkveranstaltungen, und die jeweiligen Festredner können sich der Zustimmung des Auditoriums sicher sein. Aber an was – und insbesondere wie – man sich der jeweiligen Vergangenheit erinnern soll, darüber gab und gibt es insbesondere im Umfeld der KZ-Gedenkstätten einen geschichtspolitischen Streit, in dem die jeweiligen Bundesregierungen mit deutlichen Setzungen versuchen, Einfluss zu nehmen. Begründet wird dies insbesondere mit den Geldern aus dem Bundeshaushalt, für die – über ein entsprechendes Gedenkstättenkonzept des Kulturstaatsministers – eine Legitimation geschaffen wird.

1999 wurde das erste Gedenkstättenkonzept, in dem insbesondere die Mitfinanzierung der großen Einrichtungen festgelegt wurde, beschlossen. 2008 folgte ein überarbeitetes Konzept, in das auch die Orte der DDR-Geschichte integriert wurden. Schon damals befürchteten KZ-Gedenkstätten, dass sie sich den gedeckelten Etat nun mit anderen teilen müssten. Als im Frühjahr 2024 die damalige Kulturstaatsministerin Claudia Roth eine neue Konzeption entwickeln ließ, mit der der Blick auch auf die Verbrechen des deutschen Kolonialismus gelenkt werden sollte, gab es von den KZ-Gedenkstätten und den Einrichtungen zur DDR-Geschichte vehemente Proteste, weil man befürchtete, dass die im Referentenentwurf angesprochene Perspektiverweiterung zu einer Kürzung der jeweils verfügbaren Mittel führen würde. Schon damals war allen klar, dass im Bundeshaushalt vor allem für Krieg und Aufrüstung mehr Geld verplant werden würde und dass dafür bei Kultur und anderen Aufgaben eingespart wird. Und da sich besonders KZ-Gedenkstätten nicht als Referenzorte für »Kriegstüchtigkeit« eignen, dürften sie als letzte von staatlichen Mitteln profitieren.

Der erste Entwurf aus dem Hause Roth wurde eilig zurückgezogen. Man versuchte, die großen Einrichtungen mit Geldversprechen zu beruhigen, bevor eine überarbeitete Version des Gedenkstättenkonzeptes im November 2024 im Ausschuss für Kultur und Medien debattiert wurde. Auf der offiziellen Webseite des Bundestages heißt es dazu: »Hatte sich die Konzeption bisher auf Erinnerungsorte an staatliches Unrecht im nationalsozialistischen Deutschland und in der DDR beschränkt, sollten nun Verbrechen in deutschen Kolonien ebenso einbezogen werden wie bundesdeutscher Rechtsterrorismus und Aspekte der Einwanderungsgesellschaft und der Demokratiegeschichte.« Der im November eingebrachte Entwurf habe jedoch die »Diktaturgeschichte« wieder ins Zentrum gerückt, heißt es.

Passiert ist nach der Debatte im Ausschuss erst einmal gar nichts, weil die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt nur noch geschäftsführend agierte und Beschlüsse zu solchen Themen im Bundestag bis zu den Neuwahlen nicht mehr behandelt wurden. Somit wurde das Papier aus dem Hause Roth zwar diskutiert, aber es blieb beim Entwurf. Schon damals hatten Union und AfD mit Vorbehalten auf diesen Referentenentwurf reagiert.

Der neue Kulturstaatsminister Wolfram Weimer kündigte jetzt am Ende eines Interviews im Deutschlandfunk an, dass von der neuen Bundesregierung eine Änderung des Gedenkstättenkonzeptes angestoßen werde – auch als »Antwort« auf einen »zunehmenden Antisemitismus«, dem er keinen Raum geben wolle. Bezeichnenderweise war es der Interviewer selbst, der behauptete, das Gedenkstättenkonzept der ehemaligen Bundesregierung sei gescheitert, ohne den Hörern zu erklären, dass der Referentenentwurf vom November 2024 zwar diskutiert, aber nie beschlossen wurde. Weimer nahm diese »Steilvorlage« dankbar auf und bekräftigte, dass auch aus seiner Sicht das Konzept der alten Regierung gescheitert sei. Man habe dort die Thematik der Schoah relativiert und mit anderen Geschichtsthemen, etwa dem deutschen Kolonialismus, vermengt. Er betonte, er werde zu einer »klaren Haltung« zurückkehren, was die deutsche Erinnerungskultur betreffe. Es gehöre zur »Integrität unserer Republik«, dass der Holocaust in seiner Singularität gesehen werde. Daher werde er im Herbst ein neues Gedenkstättenkonzept vorlegen.

Die Tatsache, dass der Kulturstaatsminister einen solchen Paradigmenwechsel in der Gedenkstättenarbeit in der letzten Minute eines knapp halbstündigen Interviews quasi en passant einfließen ließ, macht deutlich, dass er sich der Sprengkraft dieses Vorhabens wohl bewusst ist. Er möchte verhindern, dass ihm dasselbe wie dem Referentenentwurf aus dem Hause Roth passiert. Als kleine »Beruhigungspille« für mögliche Proteste gegen Mittelkürzungen verkündete er im Interview, er versuche aus dem »Investitionsfonds« auch Geldmittel für den Erhalt historischer Gedenkorte einzuwerben. Da alle großen Gedenkstätten einen deutlichen Bauerhaltungsbedarf haben, könnte es sein, dass sich von dort kein Widerspruch gegen die ideologischen Vorgaben von Weimer regen wird.

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