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Aus: Ausgabe vom 30.07.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Platten auflegen

Etwas merkwürdig: Maren-Kea Freeses Film »Wilma will mehr« mit Fritzi Haberland als Elektrikerin auf der Suche
Von Ronald Kohl
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In der WG: Wilma (Fritzi Haberlandt, l.) und Matilde (Meret Engelhardt)

In dem Lausitzer Kohlekraftwerk Sonne sind die Lichter schon vor einiger Zeit ausgegangen. ­Wilma (Fritzi Haberland), die hier jahrelang als Störungselektrikerin wie ein Kesselflicker durch den Maschinenbereich flitzte und es auch verstand, ohne Hilfe eine Turbine durchzupusten, arbeitet jetzt, fünf Jahre nach dem Ausverkauf der ostdeutschen Industrie, an der Kasse des kleinsten Heimwerkermarktes von Großräschen. Zur beruflichen Krise gesellt sich die private. Ihr Mann geht fremd und die gemeinsame Ehe steht kurz vor der endgültigen Abschaltung. Wilma fühlt, dass ihr Akku keine Power mehr hat. Eine Aufladung tut Not. Am besten eine mit Solarstrom.

Regisseurin Maren-Kea Freese hat mit »Wilma will mehr« einen merkwürdigen Film gedreht, eine Art inhaltlich versetztes Remake ihres Debüts »Zoe«. Beide spielen Ende der 90er Jahre; was im ersten Film noch echt war, wirkt jetzt oft retro. Verblüffend ist die Unmenge an Details und thematischen Bruchstücken aus »Zoe«, die mal in leicht, mal in krass abgewandelter Form in »Wilma will mehr« wieder auftauchen. Die herkunftsbedingten völlig gegensätzlichen Perspektiven der beiden Heldinnen muten, als Ganzes betrachtet, beinahe wie ein politisches Bekenntnis an.

Zoe ist ein Partygirl in Berlin, das Platten auflegt – bis ihr die Sammlung geklaut wird. Mit ihrer restlichen Habe, die sie in Plastiktüten herumschleppt, pendelt sie zwischen verkeimten WGs und Nächten im Freien. Eine halbleere Pulle »Gorbatschow« ist am Ende ihr bester Freund.

Auch Wilma holt den Wodka mit dem blauen Etikett aus der Reisetasche, als sie plötzlich in Wien ohne Job und ohne Bleibe dasteht. Und auch ihr hat man das Arbeitsgerät geklaut, eine Tasche voller Schraubenzieher, Stromprüfer und Zangen. So landet Wilma zwischen osteuropäischen Maurern und Zimmerern auf dem Wiener Handwerkerstrich.

»Ich will was machen mit Menschen und Musik. Und schön muss es sein«, sagt Zoe in »Zoe«. Wilma will mehr: ihr eigenes Geld verdienen. Vor allem will sie nicht darüber schwafeln, was aus feministischer Sicht alles getan werden müsste: die Lieblingsbeschäftigung von Matilde (Meret Engelhardt), die als Dozentin für Literaturwissenschaft im Hochschulbetrieb herumgeistert. Matilde ist Hauptmieterin einer geräumigen Altbauwohnung. Dafür, dass Wilma dort einziehen darf, hat sie neben der happigen Miete noch diverse handwerkliche Pflichten aufgehalst bekommen: »Kennst du dich auch mit dem Abflussrohr im Häusle aus?«

In Werner Herzogs Dokumentarfilm »Happy People: Ein Jahr in der Taiga« spricht einer der Protagonisten darüber, was ein Mensch im Leben alles verlieren kann: Ansehen, Ehre, Vermögen usw. »Nur seinen Beruf kann man niemandem nehmen.«

Vor allem nicht Wilma, allein angesichts der Vielzahl ihrer Qualifikationen ein absolutes Ding der Unmöglichkeit. Ihr sehr vertrauliches, aber auch absolut vergebliches Gespräch, das sie mit der dicken Mappe ihrer Qualifikationen unter dem Arm mit der Sachbearbeiterin des Wiener Arbeitsamtes führt, ist genau das, was der Film beständig anstrebt: subtiler Humor erster Güte, auch wenn mitunter Gags nur dann zutage treten, wenn man beide Filme kennt.

Wilma, die gelernte Elektrikerin, zertifizierte Kesselwärterin und erfolgreiche Absolventin eines Schweißerlehrgangs, legt irgendwann auch Platten auf, auf den Dächern von Wien. Gemeinsam mit ihrem neuen Schatzi installiert sie Solarpanele.

Am Ende des Films kehrt Wilma in die Lausitz zurück. Dort wartet schon eine sehr poetisch-liebevolle Postkarte aus Wien auf sie. Wo sie zukünftig leben wird, weiß sie vermutlich selbst noch nicht so genau. Sie wird jetzt bald 50. Sie hat den Sozialismus überlebt, einen Stromschlag auf dem Wiener Arbeitsamt und eine feministische Vermieterin mit Linksdrall. Die Welt gehört ihr.

Am Ende von »Wilma will mehr« wird auf einem der riesigen Tagebauseen ein Wunschbaum versenkt, an dem Wilma und ihre Freunde in gläsernen Röhrchen verborgene Zukunftsträume befestigt haben. Als der Baum sinkt, lächelt Wilma selig in die Kamera.

Zoe hat damals nur eine leere Schnapspulle mit einem Einkaufbon versenkt. Eigentlich der bessere Schluss.

»Wilma will mehr«, Regie: Maren-Kea Freese, BRD 2025, 112 Min., Kinostart: 31. Juli

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