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Aus: Ausgabe vom 29.07.2025, Seite 8 / Inland
Neues Abschiebegefängnis

»Abschiebehaft ist Freiheitsentzug ohne Straftat«

Thüringen: Protest gegen geplantes Abschiebegefängnis in Arnstadt. Ein Gespräch mit Yusuf Hassan
Interview: Yaro Allisat
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Demonstration gegen den Bau eines Abschiebegefängnisses in Arnstadt (5.7.2025)

Das Land Thüringen will ein eigenes Abschiebegefängnis einrichten. Sie haben Anfang Juli dagegen demonstriert. Rechnen Sie damit, dass das Wirkung zeigt?

Wir wissen, dass wir in der aktuellen politischen Lage den Abschiebeknast nicht verhindern können. Uns war wichtig, zu zeigen, dass wir das nicht akzeptieren und dass wir solidarisch mit den Betroffenen sind. Abschiebeknäste sind keine Randnotiz, sondern ein Ausdruck rassistischer Gewalt. Auch wenn immer mehr Menschen die AfD wählen und die Asylpolitik repressiver wird, bedeutet das nicht, dass wir das widerspruchslos hinnehmen. Abschiebungen treffen Menschen unter uns, Nachbarn, Kollegen, Mitschüler, Freunde. Oft geschieht es leise, in den frühen Morgenstunden, ohne große Aufmerksamkeit. Doch wir dürfen nicht wegsehen. Durch Engagement bei Initiativen wie der »Seebrücke«, durch Unterstützung von Menschen in Abschiebehaft oder durch praktische Hilfe mit Tools wie dem Notfallkoffer gegen Abschiebungen können wir uns positionieren.

Warum richtet die Landesregierung genau jetzt einen Abschiebeknast ein?

Es ist ein Einknicken gegenüber dem Bund. Die Regierung aus CDU, SPD und BSW in Thüringen folgt dem Druck, sich »kooperativ« in die bundesweite Abschiebepolitik einzureihen. Viele Menschen wählen die AfD, weil sie die Schuld an sozialen Problemen auf migrantische Menschen oder Geflüchtete schieben. Sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene wird gezeigt, dass man diese Politik nicht der AfD überlässt, sondern sie selbst macht. Damit wird aber nicht das Problem gelöst, sondern die Position der AfD gestärkt. Es wird immer gesagt, wer sich integriert und anpasst, werde nicht abgeschoben. Die Realität zeigt etwas anderes: Keine migrantische Person ist hier sicher.

Was problematisieren Sie an dem Abschiebeknast?

Es wird immer dargestellt, dass alle Menschen, die im Knast sitzen, böse oder kriminell sind. Es heißt auch, dass nur »Kriminelle« in den Abschiebeknast kommen, was faktisch nicht stimmt. Abschiebehaft ist Freiheitsentzug ohne eine Straftat. Damit kriminalisiert man Geflüchtete pauschal. Hinzu kommt, dass die Bedingungen in der Abschiebehaft schlecht sind. Die Betroffenen bekommen wenig bis keine Rechtsberatung, medizinische Versorgung oder Übersetzung. Abschiebungen bedeuten zudem oft eine Rückkehr in Gewalt- oder Armutsverhältnisse. Aktuell ist das Grundrecht auf Asyl nicht mehr ein tatsächliches Grundrecht, sondern eher abhängig davon, wer gerade an der Macht ist: Sind es die Linken, ist es etwas liberaler; bei SPD oder CDU mit AfD als Opposition ist es repressiver für Geflüchtete und migrantische Communitys.

Was ist aus Ihrer Sicht erforderlich?

Es braucht ein Bleiberecht für alle, unabhängig von der nationalen Herkunft. Traumatisierte Geflüchtete müssen Zugang zu medizinischer Versorgung bekommen. Es braucht vernünftige Integrationsmaßnahmen, und dazu zählen nicht nur Sprachkurse, sondern auch Unterbringung in eigenen Wohnungen anstatt in Gemeinschaftsunterkünften.

Wie gehen Sie mit einer Politik um, die auf Bundesebene offen Gerichtsurteile missachtet?

Wir dürfen das Ohnmachtsgefühl nicht übernehmen lassen, denn wir sind nicht ohnmächtig. Wir müssen weitermachen, zum Beispiel mit Demos. Die Politiker wissen selbst, dass ihr Handeln nicht in Ordnung ist, deshalb müssen wir klare Worte für diese unmenschliche Politik finden. Außerdem müssen wir die Perspektiven der Betroffenen zeigen, denn man muss mit den Menschen reden und nicht über sie. Es gibt den Zollkonflikt mit den USA, Chinas Aufstieg ordnet die Welt neu, aber hierzulande werden daraus resultierende soziale und wirtschaftliche Probleme auf Geflüchtete geschoben, obwohl diese deutlich härter von diesen Problemen betroffen sind. Es werden Fachkräfte aus dem Ausland geholt, während Menschen, die hier sind, abgeschoben werden sollen. Auch wenn es hier um Menschenrechte und nicht Arbeitskraft geht, ist das doch einfach absurd, und das müssen wir zeigen.

Yusuf Hassan war Mitorganisator der Demonstration gegen das Abschiebegefängnis in Arnstadt

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