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Aus: Ausgabe vom 26.07.2025, Seite 6 (Beilage) / Wochenendbeilage

»Dann kann ich getrost in die Grube fahren«

Die eine oder andere Begebenheit aus dem Leben des Thomas Mann
Von Renate Hoffmann
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Auch dies trug zur »höheren Gloria des Ganzen« bei: Entspannungszigarette in Kampen (August 1928)

Die folgenden Episoden sind dem soeben erschienenen Band »Thomas Mann. Ein Lebensbild in Anekdoten« von Renate Hoffmann entnommen. Wir danken der Autorin und dem Eulenspiegel-Verlag für die freundliche Genehmigung zum Abdruck. (jW)

Schlechte Noten

Katia Mann sagt es unverbrämt: Weiter als bis zum Einjährigen (Mittlere Reife) habe es ihr Ehemann bekanntlich nicht gebracht. Er selber gesteht, dass der Klassenlehrer einmal in ein Zeugnis von ihm geschrieben hätte: Er »beschäftigt sich zuwenig mit dem, was für die Schule nötig tut«. Klaus Mann sieht die schulischen Leistungen seines Vaters ebenfalls kritisch, Onkel Heinrich gleich mit inbegriffen, und gibt ein Pauschalurteil ab: »Mit den beiden Jungen war nicht viel Staat zu machen.« In der Schule – aufsässig und faul, im Sport – »komplette Versager«. Die Brüder befassten sich mit Literatur, so würde in Lübeck abfällig geredet. Den Großvater, Senator Thomas Johann Heinrich Mann, hätte man dieserhalb nur bedauern können. Thomas musste mehrere Klassen wiederholen und erreichte den schulischen Abschluss nur mühsam – das entspricht Katias Formulierung von: bekanntlich-nicht-weiter-gebracht. Vernichtend jedoch fällt die Äußerung des ehemaligen Deutschlehrers aus: »Das soll ein bedeutender Schriftsteller sein? Er hat nie einen ordentlichen Aufsatz schreiben können!« Da staunt man doch, wie Thomas sich gemausert hat.

Das Manuskript

Der Herausgabe der »Buddenbrooks« ging eine aufregende Geschichte voraus. Bekanntermaßen schrieb Thomas Mann seine Manuskripte ausschließlich mit der Hand. In den frühen Jahren sandte er sie sogar in dieser Form an Redaktionen und Verlage. Doch bei den »Buddenbrooks«, der bisher wichtigsten Niederschrift, kamen ihm Bedenken. Nicht etwa, dass er den Roman in Maschinenschrift übertragen ließ, keineswegs; er beabsichtigte, ihn für den Posttransport hoch versichern zu lassen. Sorgfältig verpackte er das Bündel der zweiseitig beschriebenen Blätter, drückte ein Siegel darauf und adressierte es an den Verleger Samuel Fischer. Auf dem Postamt erklärte er, das Paket bedürfe einer Versicherung. »Was ist denn drin?« – »Ein Manuskript.« … ? … »Aha!« Abschätzender Blick auf den Versandgegenstand. »Wie hoch?« – »Tausend Mark!« Schweigen. Es lässt sich denken, was in der Postangestelltenseele vorging: Ein Manu – was? im Wert von tausend Mark? … »Alsdann!« Die handgeschriebenen »Buddenbrooks« werden auf den Weg gebracht. Die erwartete Nachricht von S. Fischer bleibt aus. Thomas Mann, von Selbstzweifeln gequält, beschließt, wenn das Buch niemand haben will, dann werde er Bankbeamter. Noch rechtzeitig vor Ausführung dieses Gedankens trifft Fischers Zusage ein. Sie hebt ihn aus den Molltönen in jubelndes Dur. Das Buch solle ungekürzt und in drei Bänden erscheinen. Dem Bruder Heinrich teilt er mit: »Ich werde mich photographieren lassen, die Rechte in der Frackweste und die Linke auf die drei Bände gestützt; dann kann ich eigentlich getrost in die Grube fahren.«

Totale Zernichtung einer Hetzschrift

An einem rassistisch-skandalösen Buch von Artur Dinter, »Die Sünde wider das Blut«, entzündete sich Thomas Manns Ärger. Er zerfetzte es: dichterisch völlig wertlos sei es und die »schlechteste Kolportage-Romantik«. Außerdem geistig gefährlich, wegen seiner »Halbwahrheiten und agitatorischen Fälschungen«. Derartig »Wüstes« habe er noch nicht in seinem Hause gehabt. Er halte zwar nichts davon, Bücher zu verbieten – »aber beleidigen muss man den Verfasser doch wenigstens dürfen«.

Raub im Imperial

Eine Vortragsreise Thomas Manns führte das Ehepaar über Prag nach Wien. Der Dichter hegte eine Vorliebe für die Stadt. Empfang und Quartier waren exzellent. Man wohnte im Hotel Imperial – ohne für die Kosten aufkommen zu müssen. Wahrlich ein nobler Ort. Der Aufenthalt verlief hochgestimmt. Katia und Thomas befanden sich wohl; nichts ahnend, nichts befürchtend. Da schlug unerwartet eine Wiener Diebesbande zu. Einbruch in der Suite Mann! Perlknöpfe weg, Armbanduhr weg, Ledertaschen, Krawatten. Ja, sogar die Taschentücher fehlten. Warum ausgerechnet diese? Trugen sie T. M.s zierlich gesticktes Monogramm? Verbargen sich hinter dem unlauteren Zugriff passionierte Verehrer des Autors, die sich mit Souvenirs ihres Idols eindeckten? Man kennt solche Machenschaften. Thomas nahm es philosophisch. Auch dieses Abenteuer trage doch letztlich zur »höheren Gloria des Ganzen« bei. Und die Perlknöpfchen wird ihm die Hoteldirektion gewisslich generös vergütet haben.

Von der Würde

Im Gerangel mit Kritikern und deren zum Teil unsachlichen, bösartigen, verletzenden Angriffen versuchte Thomas Mann, weitgehend höflichen Ton zu wahren. In den meisten seiner Erwiderungen bemüht er sich um eine beiderseitige Verständigung. Vergaß natürlich nicht, Klarstellung, Beweis und Gegenangriff in feine Ironie zu hüllen. Überstiegen Auseinandersetzungen die gebotenen Grenzen, so musste er deutlicher werden.

Mit dem Schriftsteller und Literaturkritiker Hans Brandenburg war er über inhaltliche Werte seiner »Produktion« (vermutlich »Der Zauberberg«) aneinandergeraten. Ein Brief gab den anderen. Brandenburg nahm Manns elegante Paraden persönlich – so waren sie auch gedacht – und startete seinerseits Ausfälle. Man spürt geradezu, wie Thomas sich innerlich straffte, Haltung annahm und zur Attacke überging: Brandenburg habe doch nicht etwa angenommen, dass er nun Tränen der Rührung und des Dankes fließen lasse oder ihm gar in die Arme sinke. Und dieses sei ihm ausdrücklich gesagt: Er, Thomas Mann, habe jedenfalls auf seine Würde zu sehen! Wohinter sich die spöttisch-geklügelte Anspielung verbarg, dass Herr Brandenburg wahrscheinlich keine besaß.

Wörter

Mit der Sprache umzugehen wie ein Jongleur, lustvoll sein Spiel mit Wörtern zu treiben, T. M. verstand es. Er wirbelte die Sprachgebilde durch die Luft, fing sie auf, ordnete sie neu; zwackte an ihnen, puzzelte an ihnen, färbte sie ein, stülpte sie um. Er freute sich an ihrem vollen Klang, an ihrem hübschen Aussehen. Zuweilen warf er ihnen auch ein Narrenfetzchen über. Da wäre die »Geckerei«, wohinter vielerlei Blendwerk steckt. »Bullern« meint nicht, Tore schießen, ein Klavier die Treppe hinunterbullern zu lassen, jemanden anrempeln – nein! »Bullern« verspricht, ein Fest mit deftigem Mahl zu feiern (im Sinne von: saure Wochen – frohes Bullern). Wenn man »kröpelig« wird, so ist das Anzeichen eines »tründelnden« Gesundheitszustandes, der allernaslang ins Bett oder ins Krankenhaus führt. Deshalb sollte man sich weniger an »gelbe Gickerlinge« halten – worunter Schlaf-, Beruhigungs- und andere verfängliche Mittel zu verstehen sind –, sondern mehr an Spaziergänge in der freien Natur. Deshalb gilt: »Wer tründelt, hat mehr vom Leben« nicht als brauchbarer Erfahrungswert. Für den täglichen Gebrauch hingegen geeignet und universell verwendbar, weil an der Oberfläche plätschernd, ist »verbimsen«. – Nun mache sich jeder seinen Vers darauf und leihe das Ohr nicht jedem »Gejökel«.

Der Nobelpreis

DAVOR. Die Presse verkündete mehrere Jahre hindurch in steter Wiederkehr, Thomas Mann erhalte den Nobelpreis. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Als die Wahrscheinlichkeit wegfiel, blieb, fürs erste: der ungläubige Thomas. Ausdrücklich teilte man mit, die Preisvergabe gelte dem Roman »Buddenbrooks«. Thomas zweifelte erneut. Eigentlich sollten der Dichter und sein »Zauberberg« die Ehren empfangen. Doch ein maßgeblicher Berater des Preiskomitees war anderer Meinung. Das Buch sei ein Unding und ließe sich in keine andere Sprache übersetzen. So griff man auf Thomas Manns Jugendroman zurück. Der aufmerksame Leser weiß längst, dass in den »Buddenbrooks« wenigstens ein Satz enthalten ist, dem außerordentliche Übersetzungsschwierigkeiten anhaften. Alois Permaneders Ausruf: »Geh zum Deifi, Saulud’r dreckats!«

Helen Lowe-Porter, die den Roman ins Englische übertrug, sah darin kein Hindernis: »Go to the devil, you filthy, sprat-eating slut!« (Geh zum Teufel, du dreckige, sproßenfressende Schlampe!) Welch gelungene Translation.

MITTENDRIN. Der Festakt. Katia fuhr gemeinsam mit ihrem Mann nach Stockholm. Sie erzählt, es wäre feierlich, aber auch ein bisschen komisch zugegangen. »Der König saß auf seinem Stuhl, auf dem Thronstuhl«, berichtigt sie sich. Die Preisträger, alle befrackt, sprachen ein paar Worte. Dann wurden sie aufgerufen »und mussten sich dem Thronstuhl nähern«. Gustav überreichte ihnen das Diplom.

Die Kinder in München verfolgten die Feier am Radio. Sie hörten die ehrfürchtig-erregte Schilderung des Reporters: »Thomas Manns frackgewohnte Erscheinung bewegt sich auf den König zu … seine Majestät streckt die Hand aus …« Und in der »Poschi« erschallte, ob der Gespreiztheit, das große Gelächter.

Das Festdiner fand in gehobener Stimmung statt. Damasttischtuch und silberne Teller. Nur der König speiste von Gold. Katia bedauerte ihn im Stillen. Denn er durfte sich nur mit »hochgestellten Personen« umgeben. »Da saß er also zwischen zwei ollen Morcheln, zwei Prinzessinnen …«

DANACH. Von Stockholm aus reiste Thomas Mann nach Berlin – zum großen festlichen Empfang in der Hauptstadt. Man veranstaltete ein Bankett und überschüttete ihn mit Ehren und ehrenden Anträgen. Das Beste wäre ja, er käme nach Berlin. Für janz! Ein Festteilnehmer gab zu bedenken: »München, Herr Professor? Jotte doch, wat wollen Sie denn jetzt noch in der Jruft?«

Zurückgekehrt in die bayerische Hauptstadt, nahmen Glückwünsche, Gaben, Besuche für den Nobelpreisträger kein Ende. Einer der Gratulanten, der Schriftsteller Josef Ponten, kam soeben aus Amerika zurück und eilte zu den Manns. Er habe »dort drüben« von der Preisverleihung erfahren. Thomas Mann spielte das Ereignis ein wenig herunter: Na ja, das könne jedem mal passieren. Worauf Ponten listenreich erwiderte: »Sie müssen das nicht unterschätzen. Wie ich in Amerika war und Sie den Nobelpreis bekamen, bin ich öfters mal gefragt worden: ›Who is Thomas Mann?‹«

Der Ästhet

Zur Nobelpreis-Erteilung gehört eine Rede, die der Preisempfänger vorzutragen hat. Man kann von ihm dergleichen erwarten, da an der verliehenen Ehre auch ein erkleckliches Sümmchen hängt.

Die Ansprache möge enthalten: den Dankgesang für die erwiesene Ehre; etwas von der Rührung, die man darüber in sich fühlt; sinnige Gedanken, so dass die Zuhörer den Eindruck gewinnen – welch ein gescheiter Mensch, er hat den Preis verdient. Zur Auflockerung sei ein heiterer oder unvermuteter Passus eingearbeitet. Eine Art von geistigem Rösselsprung, der die Lauschenden bei nachlassender Aufmerksamkeit wieder zum Lauschen erweckt. Über den Geldbetrag, der die Nobelehre ergänzt, sollte man sich nicht vordergründig äußern. Die Freude daran sei unbenommen und riesengroß (wie die Summe) – aber innerlich! Der Anstand verlangt es. Keinesfalls darf der Vortrag das Zeitmaß des Erträglichen überschreiten.

Im Falle des soeben ernannten Nobelpreisträgers Thomas Mann war diese Mahnung angebracht. Denn er neigte zum Ausschweif. Außerdem hielt er die von ihm erwartete Rede bei einem Festbankett. Am 1. Dezember 1929 im Stockholmer Grand Hôtel. Die geladenen Gäste befanden sich also in Sicht- und Geruchsweite delikater Speisen, warmer und kalter. Thomas Manns Ansprache muss wohl zur Zufriedenheit ausgefallen sein, denn der Preisträger konnte sich späterhin weder an Misstöne aus dem Gästechor noch an den eigentlichen Inhalt seines Vortrages erinnern – so sagte er. Doch ein Gedanke, den er damals aufgriff, war ihm gegenwärtig. Der Einfall zählte zur Kategorie »Unvermutetes« im Redeaufbau. Es war die Passage mit dem Lieblingsheiligen! Obwohl Protestant, habe er einen Heiligen, dem er – oder der ihm – zugetan sei. Sankt Sebastian. Die Hörergemeinde horchte auf. Weshalb ausgerechnet wählte Thomas Mann diesen Untertan des Kaisers Diocletianus? Tapferer Hauptmann in der Prätorianergarde, den Bogenschützen wie ein Sieb durchlöcherten.

In die gespannte Aufmerksamkeit hinein erklärte Thomas Mann: Weil er »unter dem Schmerz des Pfeilregens in Schönheit lächelte«. Es versteht sich, dass er diese Metapher in einen durchgeistigten Zusammenhang mit der Literatur brachte. Unter Schmerzen in Schönheit lächeln. Über diese feingefügte Denkbrücke konnte nur der Ästhet Thomas Mann gehen.

Nobelpreisträger unter sich

Als sie einander erstmals begegneten, betrachtete sich Thomas Mann noch als »schnurrbärtige uninteressante Persönlichkeit«, während er im anderen, Gerhart Hauptmann, den »Siegreichen« sah. Der Verleger Samuel Fischer vermittelte 1903 die Bekanntschaft. Der Nobelpreis ruhte für beide noch in nebulöser Ferne. Hauptmann stand dem Ereignis schon etwas näher. Ihre Verbindung blieb über Jahrzehnte hinweg bestehen. Sie verdichtete sich zuweilen, rückte auseinander, wankte, schwankte, stürzte auch einmal kräftig ab. Doch sie hielt.

BOZEN. Man besuchte sich. Hauptmanns kamen nach München. Familie Mann reiste nach Hiddensee. Die Ehepaare fuhren im Herbst 1923 nach Bozen. Zwei gemeinsame Wochen boten gute Gelegenheit, sich ein Bild zu machen – einer vom anderen. Katias geübter, untrüglicher Blick bemerkte bald bei Gerhart einen besonderen Wesenszug. Hauptmann sei einfach undeutlich, sagte sie, in manchem nicht ganz zulänglich. »Goja, er war prachtvoll. Aber er brachte die Sachen nicht ganz heraus, die er sagen wollte.« So etwa hörte es sich an. Hauptmann (monologisch): »Also, ich meine, Krieg? Krieg? Abscheulich! Aber ich muss sagen: Krieg!«

Thomas, der penible Beobachter, erkannte diese kuriose Umständlichkeit ebenfalls. Er registrierte sie. Und ehe Hauptmann sich versah, befand er sich im Kreis der handelnden Personen des »Zauberbergs«. Als Mynheer Pieter Peeperkorn. Psychologisch verfeinert durch Thomas Manns hohe Kunst des Erzählens. Der Mynheer wäre, so erfährt man im Roman, eine »verwischte Persönlichkeit – eine Persönlichkeit, aber verwischt«. Peeperkorn, alias Gerhart Hauptmann, spricht mit leiser Stimme zu einer kleinen Gesellschaft: »Meine Herrschaften. – Gut. Alles gut. Erledigt. Wollen Sie jedoch ins Auge fassen und nicht – keinen Augenblick – außer acht lassen, dass – Doch über diesen Punkt nichts weiter …« – »Er hatte nichts gesagt; aber sein Haupt erschien so unzweifelhaft bedeutend, sein Mienen- und Gestenspiel war dermaßen entschieden, eindringlich, ausdrucksvoll gewesen, dass alle … höchst Wichtiges vernommen zu haben meinten …« Katia, als sie die Passagen las, betonte, die Schilderung entspreche den Tatsachen.

Hauptmann – eine »verwischte Persönlichkeit«?! Skandalös. Der Ärger folgt auf dem Fuß. Die Verstimmung zog Kreise. Thomas Mann steckte in der Bredouille. Noch versuchte er, sich aus dem Schlamassel herauszuargumentieren. Es misslang schmählich. Wer G. H. kannte, erkannte G. H. im »Kolonial-Holländer« Pieter Peeperkorn. Nun half nichts mehr. Thomas Mann blieb nur der Weg nach Canossa. Er schrieb einen Brief: »Lieber, großer, verehrter Gerhart Hauptmann …« Wie eine Katze auf diplomatischen Pfoten streicht er um den heißen Brei des Geschehenen herum; streut sich reichlich Asche aufs Haupt und bittet den »lieben verehrten Mann«, nicht die Freundschaft aufzuheben. »Versagen Sie mir nicht die Hand.« So niedergelegt im April des Jahres 1925. Man darf nicht erwarten, dass Thomas danach in bangem Zagen seine Tage lebte. Doch etwas mulmig war ihm schon.

Das gute Ende nahte. Im Mai desselben Jahres weilte Familie Hauptmann zu einem Festspiel in München. Da drückten sich G. H. und T. M. viele Male die Hände, »und alles ist wieder in der Reihe«. Um jeden Zweifel an der Echtheit der Aussöhnung zu tilgen, schickte Thomas Mann schnell noch hinterher: »Er (Hauptmann) ist ein so gutes Format, ich liebe ihn sehr.« Der symbolische Stein fiel ihm vom Herzen. Denn er achtete Hauptmann als Dramatiker sehr hoch; als Erzähler nicht ganz so hoch (da bin ich der Bessere, dachte er bei sich). Und so währte die Liebe fort und hätte beinahe zu einer Duzbrüderschaft geführt.

MÜNCHEN. Ein Treffen aus festlichem Anlass in der bajuwarischen Hauptstadt. Zu üppigem Mahl. Katia vermerkte, dass der »Champagner in Strömen floss« und Gerhart Hauptmann »im besten Zuge und ein bisschen überkandidelt« gewesen sei. Da wandelten ihn leutselige Gefühle an. Er sprach zu Thomas Mann: »Also, Herr Mann – ich meine – wir beide, wir sind doch – wir sind doch Brüder, da könnte man doch – nicht wahr? Kurzum: Genug!« Damit schloss er die Ansprache. Seine »verwischte Persönlichkeit« blieb eben wieder im Diffusen hängen.

ZÜRICH. Emigration, auch unterschiedliche Haltungen zur weltpolitischen Entwicklung, lockerten die Verbindung. Um viele Jahre später, in Zürich, begab sich Nachstehendes: Thomas Mann probierte in einem Haus für schicke Herrenmoden Anzüge an. Diese Abteilung befand sich in der ersten Etage. Ein Verkäufer eilte die Treppe herauf, an- und aufgeregt und außer Atem. Zwei Nobelpreisträger beehrten zu gleicher Zeit das Geschäft.

»Herr Mann, Herr Mann, wissen Sie, wer unten ist? Herr Gerhart Hauptmann! Möchten Sie ihn sehen?« Thomas Mann: »Ach, da wollen wir vielleicht doch etwas andere Zeiten erwarten.« Überrascht und ein wenig enttäuscht von der Antwort, meinte der Verkäufer: »Genau das hat Herr Hauptmann auch gesagt.«

Komik des Augenblicks

Thomas Mann erzählte, unlängst sei in der Los Angeles Times ein Beitrag über ihn erschienen. Mit Aufnahmen von Haus und Garten in Kalifornien und Diversem aus seinem Leben. Darunter auch folgender Hinweis: »Trotz seines Alters und hohen Ansehens muss er (Thomas Mann) für seinen Lebensunterhalt arbeiten.« Ein Herr aus dem weiteren Bekanntenkreis hörte davon, erboste sich darüber und verkündete, umgehend müsse eine Sammlung eingeleitet werden, damit der berühmte Dichter endlich in den verdienten Ruhestand gehen könne. Thomas sagte abschließend: »Die Komik ist doch das Beste auf der Welt! Sie wird mir mit den Jahren immer teurer.«

Renate Hoffmann, gebürtig aus Thüringen, Studium der Veterinärmedizin in Leipzig und Promotion, Schauspielausbildung in Berlin. Tätig als Tierärztin in Jena, Dresden und Berlin sowie als Schauspielerin im Zimmertheater Berlin. Autorin von Reiseberichten, Porträts, Rezensionen und Glossen, von Szenarien für das Fernsehen und von Theaterprogrammen.

Renate Hoffmann: Thomas Mann. Ein Lebensbild in Anekdoten. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2025, 128 Seiten, 15 Euro

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