»Sie dienen als Heerschau sowie zur Vernetzung«
Interview: Henning von Stoltzenberg
Für diesen Sonnabend sind in Karlsruhe Kundgebungen gegen ein »Reichsbürger«-Treffen angekündigt. Was macht diese Menschen so gefährlich?
Die »Reichsbürger«-Szene zeigt sich ideologisch sehr diffus, angefangen von Esoterik über Verschwörungserzählung. Ihr Glaubensgrundsatz, das deutsche Kaiserreich von 1871 sei nie untergegangen und müsse nur neu erweckt werden, mag absurd und lächerlich wirken. Aber sie sind keine harmlosen Spinner, sondern extrem reaktionär und haben Schnittstellen zur organisierten äußersten Rechten, von der AfD bis zu Neonazis – und sie sind waffenaffin. Ihre sogenannten Bundesstaatentreffen wie aktuell in Karlsruhe dienen ihnen als Heerschau sowie zur weiteren Vernetzung. Gestern fanden sie sich bei den Querdenkern, seit 2023 bei ihren Bundesstaatentreffen, und sie werden morgen wieder anderswie auftreten. Statisch bleiben ihr extrem rechtes Weltbild, Nationalismus, antidemokratisches Denken und der Wille zur Macht.
Auch »Karlsruhe gegen rechts« hat zum Protest aufgerufen. Welche Parteien, Gewerkschaften und NGOs stehen hinter dem Netzwerk?
Es bildete sich 2014 und musste schnell den Straßenprotest organisieren. Am Anfang stand der gegen die Pegida-Aufmärsche, auch in Karlsruhe, und dann deren Nachfolge. Es folgte der Aufstieg der AfD. Das Netzwerk war von Anfang an ein ganz breites Bündnis aus der hiesigen Zivilgesellschaft. Es umfasst quasi die Antifa oder auch Parteien, die sich als Mitte bezeichnen, von Die Linke über Kirchen bis zu Gruppen und Institutionen aus dem Sozialbereich, Organisationen mit historischer und politischer Tradition und Bewusstsein, auch Gewerkschaften. Wir sind sehr heterogen, ohne Frage, aber für die Bekämpfung der menschenfeindlichen rechten Ideologien und da, wo die Rechten versuchen, den Raum zu besetzen, finden wir basisdemokratisch den Konsens.
Wo setzen Sie im Kampf gegen diese Szene an?
Das Netzwerk sammelt und tauscht sich über rechte Aktivitäten aus, die einzelnen Partnerinnen und Partner bringen ihre Informationen ein. Wir rufen bei besonders dreisten rechten Versammlungen zum Straßenprotest auf und organisieren ihn. Beispielsweise gegen Großveranstaltungen der AfD ebenso wie am letzten 9. November einen Aufmarsch der Neonazis von »Die Rechte«, NPD (mittlerweile in »Die Heimat« umbenannt, jW) und so weiter. Einzelne Partnerinnen und Partner leisten Bildungsarbeit, das Netzwerk selbst veranstaltet etwa alle zwei Jahre Kongresse zu aktuellen Themen. Auf unserer Webseite finden sich detaillierte Dossiers, auch anhand von Auswertungen der rechten Social Media.
Wer steht federführend hinter diesen »Reichsbürger«-Aktivitäten?
Die sogenannten Treffen der 25 + 1 Bundesstaaten (plus Elsass-Lothringen, jW) werden von Frank Meier orchestriert. Er ist vernetzt, Mitorganisatoren bleiben eher klandestin. Aber die Auftritte bei den vergangenen fünf Treffen zeigen auf, was so abgeht. Leute wie Matthes Haug, der auch Kontakte pflegte zum Putschisten von Reuß, also diesem »Heinrich XIII.«, sind bei allen Treffen dabei. Da ist Frank R., Antisemit und Rassist, der augenblicklich etwas kürzer tritt, aber weiter beiträgt.
Deren Botschaft, wie Ihrem Flugblatt zu entnehmen ist, täuscht Friedensliebe und den Wunsch nach unterschiedsloser Gemeinschaft vor. Wie ist das mit der Politik des Kaiserreichs vereinbar, zu der sich diese Menschen zurücksehnen?
Die Leute in dieser Szene haben eine blühende Phantasie. Von Geschichte haben sie keine Ahnung, beziehungsweise fälschen sie bewusst. Das Kaiserreich ging aus einem Krieg hervor, begonnen mit einer Lüge. Es war äußerst militaristisch und rüstete gigantisch auf. Es kolonisierte und beging dabei monströse Verbrechen gegen die Menschheit: ein antidemokratischer Obrigkeitsstaat, der nicht nur die Arbeiterbewegung unterdrückte, hauptverantwortlich für den imperialistischen Ersten Weltkrieg mit seinem Massenabschlachten. Seine Farben, Schwarz-Weiß-Rot, wurden zum Symbol der Reaktion und der äußersten Rechten in der Weimarer Zeit. Bis heute marschieren besonders gerne Neofaschisten unter diesen Farben, die auch am 26. Juli zu sehen sein werden.
Jürgen Krämer ist Mitglied des Koordinationsrates im Zusammenschluss »Netzwerk Karlsruhe gegen rechts«
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Revierfoto/IMAGO23.05.2025
Im Maschinenraum der Reaktion
- AdoraPress/M. Golejewski02.10.2024
Schule der »Einzeltäter«
- Olaf Wagner/IMAGO31.01.2024
An Aufklärung desinteressiert
Regio:
Mehr aus: Inland
-
Hauptsache abschieben
vom 26.07.2025 -
Einer vom »alten Schlag«
vom 26.07.2025 -
Intel macht Rückzieher
vom 26.07.2025 -
Stillstand am Dönerspieß
vom 26.07.2025