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Aus: Ausgabe vom 26.07.2025, Seite 4 / Inland
Migrationspolitik

Hauptsache abschieben

Innenminister und AfD für Abschiebezentren. Aktuelle Praxis bricht Recht, das absehbar angepasst werden dürfte
Von Niki Uhlmann
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Illegale Abschiebung: Eine jesidische Familie musste zurück in den Irak (Leipzig, 22.7.2025)

Droht Verfolgung? Egal. Prekäre Sicherheitslage? Kümmert nicht. Gegenläufige Gerichtsurteile? Und wenn schon. Geht es um Abschiebungen, scheint das Motto der nunmehr kleinen großen Koalition aus Union und SPD zu lauten: öfter, schneller und härter. Da dadurch geltendes Recht gebrochen wird, bereitet man dessen Anpassung vor.

11.800 Menschen sind im ersten Halbjahr 2025 abgeschoben worden. Im Vorjahreszeitraum seien es knapp 9.500 Abschiebungen, 2024 insgesamt 20.000 gewesen, teilte das Bundesinnenministerium (BMI) am Freitag auf eine Anfrage des AfD-Bundestagsabgeordneten Leif-Erik Holm mit. Letzterem geht das selbstredend nicht weit genug: »Von einer Abschiebeoffensive ist weit und breit nichts zu erkennen«, forderte er via dpa Abschiebezentren, in denen Ausreisepflichtige interniert werden sollen.

Damit dürfte er bei Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) auf offene Ohren stoßen. Der will sich diese demagogische Butter natürlich nicht von seiner rechten Stulle nehmen lassen, hatte am Dienstag im Beisein einiger Amtskollegen unter dem blumigeren Schlagwort »Rückkehrzentren« selbiges gefordert. Allerdings hat eine Untersuchung der Menschenrechtsorganisation Action Aid am Donnerstag gezeigt, dass das italienische Zentrum in Albanien teuer, ineffektiv und rechtlich bedenklich ist. Um an fünf Tagen 20 Leute festzuhalten, die allesamt binnen Stunden wieder freigekommen seien, habe Italien demnach 570.000 Euro verschleudert.

Derweil wirbt CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann für Abschiebungen in Krisengebiete. Jene von 81 zuvor als Schwerststraftäter gebrandmarkten Afghanen nach Afghanistan vergangene Woche, die der UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk kritisiert hatte, halte er »ausdrücklich für richtig«, sagte Hoffmann der dpa am Freitag. Es dürfe nicht sein, dass man in ein »ganzes Land« nicht abschiebe, »weil da die politische Lage unsicher ist«. Die Frage, ob es in den entsprechenden Ländern nicht sichere Rückzugsorte gebe, wohin man abschieben könne, müsse erlaubt sein. Erlaubt ist sie allemal und beantwortet auch: EU-Menschenrechtskonvention und EU-Grundrechtecharta regeln, dass nicht abgeschoben werden darf, wenn danach unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.

Schlagzeilen machte am Dienstag eine rechtswidrige Abschiebung in den Irak. Opfer war eine jesidische Familie aus der Uckermark, deren Ausreisepflicht parallel zu ihrer Vollstreckung gerichtlich aufgehoben wurde. Das Brandenburger Innenministerium verteidigte sich am Donnerstag gegenüber dpa: Dessen Zentrale Ausländerbehörde habe lediglich eine Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vollstreckt, von dem Verfahren als möglichem »Abschiebungshindernis« derweil nichts gewusst.

Die Hilfsorganisation Pro Asyl forderte daraufhin die Rückholung der Familie und einen Abschiebestopp sowie ein Bleiberecht für Jesiden aus dem Irak. Dass vor dem Urteil abgeschoben wurde, habe abermals gezeigt, »wie unmenschlich die Abschiebungspraxis« der BRD sei, kommentierte Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin. »Wer wie Deutschland den Völkermord an Jesidinnen und Jesiden anerkennt, darf Betroffene nicht zurück in das Land des Grauens abschieben«, mahnte sie.

Bis heute warnen Flüchtlingsräte, dass den Jesiden im Irak immer noch Gefahr drohe. Dennoch abzuschieben sei »politisch gewollte Ignoranz gegenüber Schutzbedürftigen«, klagte Brandenburgs Juso-Landeschef Leonel Richy Andicene laut dpa. »Deutschlands Abschiebewahn muss gestoppt werden«, zitierte der Tagesspiegel Clara Bünger, Vizefraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Bundestag, am Donnerstag. Marcel Emmerich (Bündnis 90/Die Grünen) forderte sogar den Rücktritt des BAMF-Präsidenten Hans-Eckhard Sommer (CSU), der samt Dobrindt seinen »menschenrechtlichen Kompass verloren« habe.

Am Freitag meldete sich schließlich der Migrationsforscher und Denkfabrikgründer Gerald Knaus im Interview mit dem Handelsblatt zu Wort. »Mit großem Aufwand« habe Dobrindt bei seinen Grenzkontrollen »wenig erreicht und dazu noch europäisches Recht untergraben«. Wie auch 2016 seien nur Migrationsabkommen mit Drittstaaten geeignet, um Migration »nachhaltig« zu begrenzen. Seitdem die Ampel nicht mehr bremse, schaffe die EU-Kommission dafür Grundlagen. Flüchten werde man gen BRD nämlich auch, wenn das Asylrecht abgeschafft würde. Letzteres hätte wie in den USA »Angst und Schrecken im eigenen Land« zur Folge. Knaus’ Vision: Irgendwann wird jeder Ankömmling »rechtlich korrekt« in ein »sicheres Drittland überstellt«. Andernfalls drohe die AfD »an die Macht zu kommen«, verengte er den politischen Handlungsspielraum auf die Wahl zwischen Pest und Cholera.

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