Mörderische Staatsräson
Von Nick Brauns
»Ich habe mich noch nie so erschüttert gefühlt. Kinder verhungern. Sie sinken herab, eines nach dem anderen, wie Blütenblätter einer sterbenden Blume«, schrieb Francesca Albanese, UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, in der Nacht zum Freitag auf X. Innerhalb von 24 Stunden verhungerten im Gazastreifen neun weitere Menschen. Damit stieg die Zahl der Toten durch Hunger oder Mangelernährung infolge der israelischen Blockade bis Freitag auf 122, darunter 83 Kinder. Fast ein Viertel der über zwei Millionen Bewohner Gazas leidet nach Angaben des UN-Welternährungsprogramms unter hungerähnlichen Bedingungen, Tausende sind akut unterernährt.
Sie müssten mitansehen, wie jetzt auch die eigenen Kollegen langsam zu Tode hungerten oder riskierten, in den Schlangen für Lebensmittel erschossen zu werden, heißt es in einem Appell von 109 internationalen Hilfsorganisationen. Journalisten müssten in Kriegsgebieten viele Entbehrungen erdulden. »Wir sind zutiefst beunruhigt darüber, dass nun auch die Gefahr zu verhungern dazu gehört«, zeigten sich die Nachrichtenagenturen AFP, AP, Reuters und BBC News am Donnerstag besorgt um ihre Journalisten in Gaza.
Es ist eine menschengemachte Hungersnot, im Rahmen einer sadistischen Kriegsstrategie Israels gegen die palästinensische Zivilbevölkerung, deren Dezimierung und Vertreibung nicht Kollateralschaden, sondern Ziel ist. So hat selbst die US-Regierung keine Hinweise auf systematischen Diebstahl von Hilfsgütern durch die Hamas, wie Reuters am Freitag unter Berufung auf eine interne Analyse berichtete. Diese Behauptung wird von Israel als Begründung für die Übergabe der Lebensmittelausgabe an eine von US-Söldnern betriebene private Organisation angeführt, an deren Verteilstellen bereits über 1.000 Menschen erschossen wurden.
»Israels Sicherheit hat für die Bundesregierung übergeordnete Bedeutung«, bemühte die Bundesregierung am Freitag in Reaktion auf die Ankündigung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, im September Palästina als Staat anzuerkennen, einmal mehr das Mantra der deutschen Staatsräson. Die Anerkennung eines palästinensischen Staates betrachte sie »als einen der abschließenden Schritte auf dem Weg zur Verwirklichung einer Zweistaatenlösung«. Dass Israel dies durch den Genozid in Gaza und die gerade von der Knesset beschlossene Annexion des Westjordanlandes systematisch verhindert, ficht die Bundesregierung nicht an. Doch der Druck international und aus der Bevölkerung, die zu 80 Prozent einen Stopp der Waffenlieferungen an Israel fordert, wächst. Kanzler Friedrich Merz will laut Reuters am Montag das Sicherheitskabinett einberufen.
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