Keine Panik
Von André Dahlmeyer
Die Halbfinals der Fußballeuropameisterschaft in der Schweiz hatten es in sich. Die deutschen Kickerinnen rührten gegen die Weltmeisterinnen aus Spanien Zement an, bauten eine neue Mauer auf, doch es half alles nichts. Die Spanierinnen rissen sie nach und nach wieder ein. In der Verlängerung gelang ihnen mit einem Traumtor von Aitana im neunten Duell (fünf Niederlagen, drei Remis) der erste Sieg gegen die Deutschen. La Roja kickt somit am Sonntag im St.-Jakob-Park von Basel (18 Uhr) gegen die Titelverteidigerinnen aus England. Es wird eine Neuauflage des WM-Finales und die Gelegenheit, den brillanten Lauf mit dem WM-Triumph in Australien 2023 und dem Sieg in der Nations League 2024 mit dem letzten Titel zu krönen, den die spanische Auswahl noch nicht gewonnen hat.
Die Spanierinnen haben verdient das Finale erreicht, sie sind bis dato das mit Abstand beste Team des Turniers. Die Deutschen waren unterm Strich chancenlos, vor allem weil sie ihre wenigen Gelegenheiten nicht nutzten. Das war kein Pech oder fehlendes Glück, nur schlecht gezielt. So was kommt vor, kein Grund zur Panik. Es ist nur ein Spiel. Dass die Deutschen überhaupt so weit kamen, war nicht zu erwarten gewesen.
Montserrat Tomé ist seit September 2023 Trainerin der spanischen Auswahl. Sie ist die erste Frau auf diesem Posten. Mit ihr auf der Bank gewann schon die U17 die WM 2022 in Indien, nach ihrer Beförderung gelang der Nations-League-Erfolg 2024. Im Zürcher Letzigrund-Stadion schickte sie dieselbe Startelf auf den Platz wie im Viertelfinale gegen Schweden. Nur María Méndez (Real Madrid) ersetzte in der Abwehr die gesperrte Laia Aleixandri. Alexia, Patri und Aitana (alle Barça) bildeten das gefürchtete Mittelfeld der »Roja«, Claudia Pina und Mariona (Arsenal) wuselten auf den Flügeln, im Zentrum war Esther (Gotham FC) immer eine Bedrohung.
Bundestrainer Christian Wück stellte mit einem 4-5-1 den Platz 35 Meter vor dem eigenen Tor zu. Die Spanierinnen kamen zwar wie erwartet zum Kombinieren. Das tödliche Kurzpassspiel gelang ihnen indes nicht wie sonst, und am Sanktionsraum war sowieso Schluss. Das deutsche Mittelfeld mit Kapitänin Janina Minge (Wolfsburg), Elisa Senß (Frankfurt) und Sara Däbritz (Real Madrid) war ein kompakter Block. Nur auf den Außenbahnen kam Spanien durch. Bei jedem Ballverlust des Weltmeisters gab Wück an der Kalklinie das Signal zum Konter. Als Ann-Katrin Berger (Gotham FC) zu einem weiten Abstoß ansetzte, Patri die Kugel mit dem Kopf verfehlte, tauchte plötzlich Linksaußen Klara Bühl (Bayern) vor Torfrau Cata Coll (Barça) auf, schob die Kugel aber am Kasten vorbei.
Die Spanierinnen fanden nicht perfekt zu ihrem Spiel, kein Steckpass gelang. Auch ihnen fehlte die Effizienz. Die Deutschen spielten destruktiv. Dachten einfach nur daran, zu gewinnen, egal wie. Unansehnlich ist noch untertrieben. Das Spiel wurde immer zähflüssiger. Dann schickte Patri mal über links Olga (PSG) auf die Reise, die Linksverteidigerin flankte, Franziska Kett (Bayern) hielt ein Nickerchen, der Ball fiel Esther vor die Füße, doch Berger klärte spektakulär.
Die deutsche Elf erstickte auch weiterhin das Spiel des Weltmeisters. Als Alexia im Mittelfeld einen Ball verlor, flitzte Jule Brand (Lyon) über rechts auf und davon, kombinierte mit Däbritz, die passte zurück, doch Giovanna Hoffmann (Leipzig) verfehlte den Ball.
Die Spanierinnen hatten in der ersten Halbzeit 70 Prozent Ballbesitz. Gefährlich wurden sie erst gegen Ende durch Standards, so setzte Kapitänin Irene Paredes (Barça) einen Eckball an den Pfosten. Anschließend hatten noch Mariona, Esther und Pina Chancen, alle im Strafraum, doch Berger war auf der Hut. Gleich nach dem Wechsel klärte die deutsche Torfrau erneut, diesmal gegen Ona. Montse Tomé brachte erst Salma Paralluelo (Barça) für Esther, dann Athenea (Real Madrid) für Pina. Spanien drückte immer stärker. Nachdem Cata in der letzten Minute zweimal stark gegen Bühl und Carlotta Wamser (Bayer 04) klärte, ging das Match in die Verlängerung.
Das einzige Tor erinnerte fatal an das WM-Finale 2014 der Männer. Damals war Argentinien stehend k. o., passte eine Sekunde lang nicht auf. In Zürich war es die eingewechselte Sydney Lohmann (ManCity), der ein schwerer Abwehrschnitzer unterlief. Athenea setzte magistral Aitana in Szene, doch die weltbeste Kickerin flankte nicht, sie schob den Ball Berger mit einem strammen Schuss am kurzen Pfosten in die Reusen. Ein Pennälerinnenfehler der deutschen Torfrau, gegen Frankreich noch die große Heldin. Cata rettete noch mal gegen Lea Schüller (FC Bayern), das war’s. Mangelnde Einstellung kann man den ersatzgeschwächten deutschen Frauen nicht vorwerfen, der Halbfinaleinzug ist ein Erfolg bei dieser EM, die bislang über 620.000 Besucher gesehen hat.
Endspielgegner England besiegte im anderen Halbfinale die starken Italienerinnen durch einen Treffer (Elfmeter und Nachschuss) von Chloe Kelly (Arsenal) in der 119. Minute der Verlängerung mit 2:1.
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