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Aus: Ausgabe vom 25.07.2025, Seite 15 / Feminismus
Pakistan

Tödliche »Tradition«

Besonders brutaler Fall wirft Licht auf »Ehrenmorde«, die in Pakistan nach wie vor Alltag sind. Politik verspricht konsequente Verfolgung
Von Thomas Berger
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Hochzeit in Karatschi: Frauen haben dabei in Pakistan nach wie vor wenig mitzureden (9.1.2022)

Sogenannte Ehrenmorde sind in ganz Südasien keine Seltenheit. In Pakistan hat diese Karo Kari genannte »Tradition« nicht nur eine lange Geschichte, das Land liegt bei der Zahl dieser Morde – zumeist an Frauen – weltweit auch ganz vorn. Aktuell hat es jedoch ein mutmaßliches Paar getroffen, dessen Fall für besondere Aufmerksamkeit sorgt, da eine Videoaufnahme, die offenbar die Ermordung der beiden im Mai zeigt, am vergangenen Wochenende in Onlinenetzwerken viral ging. Die Polizei in der südwestlichen Provinz Belutschistan hat 14 Verdächtige festgenommen, darunter auch einen lokalen Stammesführer, wie Behördenvertreter am Montag mitteilten.

Demnach soll der Bruder der Frau tödliche Schüsse auf beide abgegeben haben. Er habe im Namen ihrer Familie und ihres Stammes gehandelt, teilte der Polizeichef der Provinz, Moazzam Jah Ansari, gegenüber Reuters mit. Der Stammesführer Sher Baz Satakzai habe den Mord angeordnet. Dessen Festnahme bestätigte auch Belutschistans Chief Minister Sarfraz Bugti. »Wir werden dafür sorgen, dass sie alle strafrechtlich verfolgt werden«, sagte er am Montag abend auf einer Pressekonferenz in der Provinzhauptstadt Quetta. Ob der Bruder zu den Festgenommenen gehörte, erwähnte er nicht. Der Mann und die Frau, denen eine außereheliche Affäre vorgeworfen wurde, hatten beide mehrere Kinder aus früheren Ehen, sagte Bugti. Die Behörden hatten zunächst erklärt, das Paar sei getötet worden, weil es gegen den Willen seiner Familien geheiratet hatte. »Niemand hat das Recht, jemanden auf so schmerzhafte und widerwärtige Weise zu töten und das dann auch noch zu filmen«, so Bugti.

Auch Bilawal Bhutto-Zardari, Parteichef der sich nach außen sozialdemokratisch gebenden Pakistanischen Volkspartei (PPP), die in Belutschistan die Koalition anführt, sprach von einem Verbrechen, das nicht ungesühnt bleiben dürfe. Die Schuldigen verdienten keine Gnade. Regierungssprecher Shahid Rind betonte am Sonntag vor dem Karatschi Press Club, man werde bei der Untersuchung keine Einflussnahme von außen dulden. Die Festnahme etlicher Tatverdächtiger und diverse Stellungnahmen nähren tatsächlich die Hoffnung, dass Ermittler und Justiz zumindest in diesem Fall der Sache nachdrücklich auf den Grund gehen und die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen gewillt sind. Das ist bei Verbrechen dieser Art nicht immer so. Kritisch angemerkt wurde bei The Dawn jedoch, dass sich Chief Minister Bugti in seiner öffentlichen Stellungnahme statt auf die Täter auf den Familienstand der Opfer konzentriert und ihnen ohne Beweise vorzulegen, eine außereheliche Affäre unterstellt habe.

Aber selbst von solch öffentlicher Anteilnahme und betonter Ernsthaftigkeit der Ermittlungen kann in vielen anderen Fällen kaum die Rede sein. In Pakistan dominiert eine fundamentalistische Auslegung des Islam als Staatsreligion. Hinzu kommen die »Traditionen« vor allem in Gegenden wie dem flächenmäßig größten Belutschistan und den nördlichen Stammesgebieten, die insbesondere Frauen keine freie Partnerwahl zugestehen. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen gibt es jährlich rund 1.000 Opfer dieser »Ehrenmorde«, die meisten davon Frauen. Pakistans Menschenrechtskommission hat 392 getötete Frauen allein zwischen Januar und November 2024 dokumentiert.

Eine 2016 erfolgte Gesetzesverschärfung zu »Ehrenmorden« und Vergewaltigungen, deren Vorlage von der PPP eingebracht worden war, wurde vor der Verabschiedung im Parlament von konservativen Kräften allerdings so stark verwässert, dass die Änderungen am Strafrecht am Ende nur minimal blieben. Und auch wenn der damalige Premierminister Nawaz Sharif versprach, die »landesweite Umsetzung der Gesetzgebung« sicherzustellen, macht die Justiz von der ohnehin schon vorher bestehenden Möglichkeit eher selten Gebrauch, solche Straftaten auch bei einer »Vergebung« durch die Opferfamilie von Staats wegen zu ahnden. Und so gehen die vor allem frauenfeindlichen Morde weiter. Zuletzt soll am Dienstag ein Mann in Quetta seine 18jährige Tochter und seinen 19jährigen Neffen wegen einer »illegitimen Beziehung« erschossen haben.

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