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Aus: Ausgabe vom 25.07.2025, Seite 2 / Ausland
Studie zu Wirtschaftssanktionen

Sanktionen tödlicher als Kriege

Studie untersucht Folgen wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen des Westens
Von David Siegmund-Schultze
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Wegen der Sanktionen fehlen auf Kuba die Mittel, sich auf Naturkatastrophen wie den Hurrikan vergangenes Jahr besser vorzubereiten

Wirtschaftssanktionen sind tödlich. Sie führen zu fünfmal so vielen Toten wie durch Kriege. Das belegt eine am Mittwoch in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichte Studie. Demnach seien von 1971 bis 2021 jährlich schätzungsweise 564.000 Menschen infolge von Wirtschaftssanktionen gestorben – durch Kampfhandlungen in Kriegen waren es durchschnittlich 106.000.

Unilaterale Sanktionen werden in der Regel von den USA oder der EU gegen Länder des globalen Südens verhängt – nach eigenem liberalen Credo offiziell, um Demokratie, Menschenrechte oder Frieden herbeizuführen. Tatsächlich geht es meistens darum, unliebsame Regierungen zu stürzen. Die Folge sind der »Kollaps der Wirtschaft in den Zielländern« und eine Kollektivbestrafung ihrer Bevölkerungen, so Ökonomieprofessor Francisco Rodríguez, einer der Autoren der Studie, gegenüber dem Center for Economic and Policy Research (CEPR).

Die Wirtschaftswissenschaftler haben die Sterblichkeitsraten nach Altersgruppen in 152 Ländern untersucht. Neben einer jährlichen Übersterblichkeit von mehr als einer halben Million Menschen konnten die Autoren auch eine erhöhte Säuglings- und Müttersterblichkeit nachweisen. Denn wirtschaftliche Sanktionen hätten erhebliche negative Effekte auf die Gesundheitsversorgung sowie den Zugang zu Medikamenten und Lebensmitteln. Vulnerable Gruppen seien besonders betroffen – laut der Studie sind 51 Prozent der Gestorbenen unter fünf Jahre alt.

Mit dem US-Dollar als globaler Leitwährung, seinem hohen Anteil am Welthandel und Einfluss auf Geldgeber wie den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank haben die westlichen Industriestaaten erhebliche Machtmittel in der Hand, die sie gegen abhängige und arme Länder einsetzen. Ein emblematisches Beispiel ist Kuba, das seit 1962 ökonomisch stranguliert wird. Dabei werden die Sanktionen als »weniger tödliche, nahezu gewaltfreie politische Alternative zu militärischer Gewalt« dargestellt, so Mark Weisbrot, ein weiterer Autor der Studie. Die Untersuchung zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist. Trotzdem werden solche Maßnahmen immer öfter eingesetzt. Während 1960 noch acht Prozent aller Staaten von ihnen betroffen gewesen seien – sei der Anteil zwischen 2010 und 2022 bereits auf 25 Prozent gestiegen.

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  • Leserbrief von Reinhard Kalinke aus Bämsen (25. Juli 2025 um 15:16 Uhr)
    Nach UN-Maßgabe sind das eben keine »Sanktionen« – die darf nur der Sicherheitsrat verhängen –, sondern sogenannte UCM: Unilateral Coercive Measures, zu deutsch unilaterale Zwangsmaßnahmen. Der Ausdruck »unilaterale Sanktionen« nähert sich dem korrekten Terminus zwar an, bleibt aber immer noch falsch. Es wäre daneben auch angebracht, eindeutig herauszustellen, dass diese UCM unter das Gewaltverbot der UN-Charta fallen und insofern eindeutig völkerrechtswidrig sind.
  • Leserbrief von CMF aus Ehemalige Friedensstadt OS (25. Juli 2025 um 13:08 Uhr)
    »Dabei werden die Sanktionen als ›weniger tödliche, nahezu gewaltfreie politische Alternative zu militärischer Gewalt‹ dargestellt«. Das ist zuallermindest Teil der PR-Arbeit, um nicht zu sagen Agitprop durch die »Expertise« von Beratern und Denkfabrikanten, welche derlei Instrumente im politischen Betrieb schmackhaft machen soll. Dass es sich hierbei um nichts weiteres als bürokratisches Raubrittertum handelt, machen die realen Konsequenzen einer solchen ruchlosen Politik immer wieder deutlich - am schlimmsten zu besichtigen am Beispiel Syriens, wo gezielt ebenso das klassische Raubrittertum des dort nun waltenden Landsknechtsregimes hiermit gefördert wurde. Die Studienverfasser verdienen großen Respekt für ihren Mut, zu benennen, dass das politische Instrument der Wirtschaftssanktionen am Ende genauso (un)sauber ist wie die Klaviersaite, allein muss es zu einer generellen Ächtung, besser noch Bann dieses Mittels kommen – seitens der medialen Öffentlichkeit einerseits, durch ein generelles Bewusstsein von politischer Seite, was für einen Totschläger man damit eigentlich schwingt, andererseits.

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