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Aus: Ausgabe vom 23.07.2025, Seite 8 / Ansichten

Agenda 2030

Vorbereitungen auf Sozialabbau
Von Daniel Bratanovic
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Bürgergeld abschaffen, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für Erwerbslose ab 50 Jahren verkürzen, eine kapitalgedeckte Altersvorsorge einführen. Man konnte sich schon fragen, wie lange es dauern würde, bis die Auguren, Adepten und Apologeten des Kapitals an den entscheidenden Stellen in Politik, Medienbetrieb und Wirtschaftsinstituten die Öffentlichkeit darauf vorbereiten, dass schmerzhafte Einschnitte in den Sozialstaat unvermeidlich sind. Jetzt scheint sich die interessierte und orchestrierte Debatte mit Beginn der Sommerpause warmzulaufen, damit im Herbst solche vorgeblich notwendigen Reformen vorgelegt werden können.

Der Staat finanziert per Aussetzung der Schuldenbremse eine Aufrüstung ungekannten Ausmaßes, seine Repräsentanten versprechen sich davon und der Bevölkerung, die sich solche Totinvestitionen in Tötungsgerät gefallen lässt, einen Austritt aus der ökonomischen Misere. Unternehmenssteuern werden gesenkt, ebenfalls der Strompreis, aber nur für große Konzerne, für die anderen soll kein Geld da sein. Alles für den Standort. Die Kapitalseite inszeniert eine Dankesshow im Kanzleramt, verspricht Milliardeninvestitionen innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik und darf sich als Wohltäterin im Dienste der Nation feiern lassen. Staat und Kapital haben geliefert, jetzt kommt der Faktor Arbeit dran. Und das bedeutet Kürzung und Verbilligung.

»Arbeit muss sich wieder lohnen.« Der jetzt unter der immergleichen Losung vorbereitete Anschlag auf die Sozialsysteme weckt Erinnerungen an das Agenda 2010 genannte Sozialkahlschlagsprogramm der Regierung Schröder vor nicht ganz einem Vierteljahrhundert. Auch damals waren der Standortjammer groß, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gering, die Zahl der Erwerbslosen hoch. Der Etikettenschwindel unter dem Label »Angebotspolitik von links« stärkte, indem etwa Arbeitslose mit Sanktionen belegt wurden, wenn sie »angemessene« Stellenangebote ablehnten, die Verhandlungsmacht der Kapitalseite und erhöhte den Druck auf die Löhne. Das Programm sorgte maßgeblich für den Auftritt der Bundesrepublik als Exportwalze des Planeten zu einer Zeit, als alle Welt von Globalisierung sprach.

Angesichts drastisch veränderter weltwirtschaftlicher und weltpolitischer Ausgangsbedingungen darf in Frage gestellt werden, ob eine Neuauflage vergleichbare Effekte erzeugt. In dem Maße, wie es den »Schwellenländern« mehr und mehr gelingt, mit komplexen Industrieprodukten auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu werden und nationale Märkte durch Zölle abgeschottet werden, dürfte auch eine Agenda 2030 dem deutschen Exportmodell kaum auf die Sprünge helfen. Das ändert nichts daran, dass sich der Kampf um die Mehrwertmasse verschärfen wird. Von einem »Standortpatriotismus«, wie ihn der Chef der IG BCE von den deutschen Großunternehmen verlangt, ist für die Lohnabhängigen dieses Landes deshalb auch nichts Vorteilhaftes zu erwarten.

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