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Aus: Ausgabe vom 23.07.2025, Seite 1 / Titel
Krieg gegen Palästinenser

Nichts mehr zu verteilen

Israel eskaliert seinen Hungerkrieg im Gazastreifen, internationale Organisationen werden angegriffen und sind ohne Hilfsmittel. Westliche Staaten verurteilen Tel Aviv symbolisch
Von David Siegmund-Schultze
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Mit der letzten Kraft versuchen zu überleben: Essensausgabe einer Armenküche am Dienstag in Gaza-Stadt

Die Palästinenser im Gazastreifen sind unvermindert Israels Bomben- und Hungerkrieg ausgeliefert. Am Dienstag wurden mindestens 51 Menschen durch Luftangriffe getötet, mindestens 15 Menschen sind in den vergangenen 24 Stunden verhungert. Das meldete die lokale Gesundheitsbehörde. Journalisten vor Ort berichten davon, dass immer mehr Menschen aus Erschöpfung und Hunger auf der Straße kollabieren. 100.000 Menschen leiden unter akuter Mangelernährung und benötigen dringend medizinische Versorgung, sagte Ross Smith vom UN-Welternährungsprogramm in einer Stellungnahme am Montag. »Die Hungerkrise in Gaza hat ein neues und erschreckendes Ausmaß erreicht« – ein Drittel der Bevölkerung habe seit Tagen nichts gegessen.

Der Direktor der World Peace Foundation, Alex de Waal, erklärte in der am Montag (Ortszeit) ausgestrahlten US-Sendung »Democracy Now!«: »Ich beschäftige mich seit mehr als 40 Jahren mit Hungersnöten, Ernährungskrisen und humanitären Maßnahmen, und in diesen vier Jahrzehnten hat es keinen Fall einer derart minutiös ausgearbeiteten, genau überwachten und präzise konzipierten Massenaushungerung einer Bevölkerung gegeben, wie es heute in Gaza geschieht.« Die Phase der Hungersnot habe nun begonnen, konstatierte der Direktor für medizinische Hilfe in Gaza, Mohammed Abu Afash, am Dienstag. Er erwarte ein Massensterben von Frauen und Kindern. Auch der Norwegische Flüchtlingsrat, der 64 palästinensische und zwei internationale Mitarbeiter vor Ort hat, erklärte am Dienstag: »Unser letztes Zelt, unser letztes Lebensmittelpaket, unsere letzten Hilfsgüter sind verteilt worden. Es gibt nichts mehr«, so Leiter Jan Egeland gegenüber Reuters. Es sei die vergangenen 145 Tage nicht möglich gewesen, Hunderte von Lastwagenladungen mit humanitären Gütern nach Gaza zu bringen.

Parallel hat Israel seinen Krieg ausgeweitet und nach einer Aufforderung zur »Evakuierung« am Montag Panzer in der zentral gelegenen Stadt Deir Al-Balah auffahren lassen. Zehntausende hatten dort Schutz gesucht, zumeist in Zelten. Damit stehen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 88 Prozent der Enklave unter Evakuierungsbefehl. Sie prangerte am Dienstag an, dass die Unterkunft ihrer Mitarbeiter in Deir Al-Balah tags zuvor dreimal angegriffen und ihr Hauptlager zerstört wurde. Mehrere WHO-Angestellte seien festgenommen worden. Israel wurde aufgefordert, den WHO-Mitarbeiter unverzüglich gehenzulassen.

Ebenfalls am Montag hatten 27 Staaten, darunter Großbritannien, Frankreich, Kanada, Italien und Japan, ein sofortiges Ende des Gazakriegs gefordert. In einer gemeinsamen Erklärung kritisierten sie die israelische Regierung für das »unmenschliche Töten von Zivilisten«, die bei Verteilstellen an Essen gelangen wollen. Auch der Papst hatte am Sonntag Israel aufgefordert, der »Barbarei« in Gaza ein Ende zu setzen. Die Hamas begrüßte die Initiative der westlichen Staaten umgehend. Israels Außenminister Gideon Saar kritisierte sie hingegen und sagte: »Wenn die Hamas dich lobt, bist du auf der falschen Seite.«

Und da Großbritannien, Italien und Kanada trotz des genozidalen Krieges in Gaza Israel weiter mit Waffen beliefern, bleibt die Erklärung symbolisch. Derartige Kritik an Israels Krieg hatte bislang noch keinerlei Wirkung, denn Tel Avivs wichtigste Waffenlieferanten – die USA und die BRD – bleiben treu an Israels Seite.

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  • Leserbrief von Wilfried Schubert aus Güstrow (23. Juli 2025 um 10:52 Uhr)
    Außer leisen, unverbindlichen Worten des Bundeskanzlers gegen den Ausrottungskrieg Israels gegen die Palästinenser keine deutliche Verurteilung des Krieges Israels. Genau so wenig Gegenworte zum Vorschlag des israelischen Premierministers, US-Präsident Trump mit dem Friedensnobelpreis auszuzeichnen. Auch der Resolution der Mehrheit der EU-Staaten nach einem sofortigen Ende des Vorgehens Israels in Gaza schließt sich Deutschland, aus fadenscheinigen Gründen, nicht an. Also lässt man das Elend und Morden in Gaza weitergehen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (23. Juli 2025 um 07:47 Uhr)
    Hunger als Waffe einzusetzen ist nach dem humanitären Völkerrecht verboten. Nun haben sich 27 Länder entschieden, das Ende dieses Völkermordes auch öffentlich zu fordern. Aber Deutschland ist nicht dabei. Man begründet es mit der »besonderen Verantwortung« gegenüber Israel. Aber auch unter Freunden muss man sich kritisieren dürfen und auch Forderungen stellen. Das Leid von Millionen Palästinensern ist aber nicht erst mit dem Überfall der Hamas auf Israel am 07.10.2023 entstanden, sondern schon mit der Nakba 1948. Hier begann die Vertreibung der palästinensischen Menschen durch die israelische Regierung genau aus den Gebieten, die laut Teilungsplan der UN von 1947 den Arabern zugestanden wurden. Das einzige Gebiet, das übrigblieb, ist der Gaza-Streifen. Auf einer Fläche, die nicht mal halb so groß wie Hamburg ist, leben mehr als 2 Millionen Menschen. Sie leben zwischen Trümmern, unter ständigem Beschuss und Bombenabwürfen, ohne Nahrung und medizinische Versorgung. Und die deutsche Regierung, die im Ukraine-Krieg immer wieder die Einhaltung der Menschenrechte durch Russland fordert, schaut hier zu bzw. liefert auch noch Waffen dafür. Diese Doppelmoral ist nicht mehr auszuhalten. Das palästinensische Volk hat die gleichen Rechte wie das jüdische – Leben in Frieden, ohne Hunger und der ständigen Angst vor Bomben und Granaten.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (23. Juli 2025 um 11:59 Uhr)
      Länder können nichts beschließen, befreundet sein, eine Staatsräson einhalten. Auch Völker existieren ebenso wenig wie Nationen. Die Euphemismen dienen dem Schutz derjenigen, die ihn offensichtlich nötig haben. Denn Frau Merkel steht nicht für die Staatsräson gegenüber dutzenden weiteren Ländern mit unzähligen Opfern der deutschen Nazibarbarei ein. Eben besonders nicht in Anbetracht der Toten unter den Bewohnerinnen und Bewohnern der 15 Republiken der Sowjetunion (stimmloses S! Mit stimmhaftem S bedeutet es: Er ruft/er nennt sich – on sowjet – Union … Gruß an alle Fans!). Zuerst: Heute wird von bis zu 40 Millionen Getöteten allein dort ausgegangen. Dazu: Die Zahl der dauerhaft Unheilbaren/Versehrten liegt weitaus höher. – Doch wen von den Regierenden in der BR Deutschland juckts seit Sommer 1949? Was ein Licht auf Frau Merkel wirft, das ihre Glanzleistung »Das schaffen wir.« in den Schatten stellt. – Kurz zu Ihrer Flächenangabe, Herr E.: Aktuelle Zuweisungen der IDF/der derzeit Regierenden in Israel legen ein Rückzugsgebiet für die Palästinenschen in Gaza fest, das zwölf Prozent der Fläche beträgt. Was schnell errechnet ist: Zwölf Prozent von 360 = 36 + 2 mal 3,6 = 36 + 7,2 = 43,2 Quadratkilometer. Für die mehr als zwei Millionen Palästinensischen isses enger als in Hamburg. – Kurz zur Nakba, Herr E.: Damals eskalierte die Vertreibung der Palästinensischen. Sie bringen den Höhepunkt vor, wissen aber, dass diese Politik (vgl.: Ilan Pappe) zumindest durch Landkauf und Besetzungen/Erstürmungen und Einrichtung von Wehrsiedlungen bereits zu Anfang der 1920er Jahre begonnen hat. Das ist Ihnen alles bekannt. Sie haben »Der Judenstaat« gelesen, Sie leiden wie ich daran, was dort alle Tage geschieht, und meinen, dass es unvorhersehbar war, was sich am 7.10 2023 ereignete? Wohl kaum.
      • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (23. Juli 2025 um 14:51 Uhr)
        Danke für die Ergänzungen, das ist die Krux mit 2000 Zeichen … Über die Geschichte Palästinas könnte man ganze Bücher schreiben. Mein Bezug war der Erlass der UN-Resolution 181. Und die Karte, die es zur Zweistaatenlösung damals gab (ist im Internet zu finden) sieht ganz anders aus, als das, was Israel heute vereinnahmt hat und weiter vereinnahmt (siehe zur Zeit Syrien). Und was am 07.10.2023 passierte – es war so vorhersehbar, vorhersehbar wie die Intifada I und II, wie der immer wieder stattgefundene verzweifelte Kampf von Palästinensern mit selbstgebauten Raketen, ihren paar Kalaschnikows, Steinen und Knüppeln gegen die hochgerüstete IDF. Irgendwann musste der Druck entweichen, der sich im Gazastreifen aufgebaut hatte und nun schon wieder aufbaut. Die traumatisierten Kinder von heute sind die Hamas-Kämpfer von morgen. Und ich zweifle sehr daran, dass die Hamas am 07.10.2023 allein vorging, wer weiß, wer da dahinter steckte … Aber jetzt begebe ich mich in den Bereich der Verschwörungstheorien.
  • Leserbrief von Leonhard Schaefer aus Florenz (22. Juli 2025 um 20:26 Uhr)
    Ganz symbolisch ist die Erklärung der 25 Staaten plus der EU-Kommissarin nicht, da z. B. Italien dabei ist, das sich bisher unbedingt Israel-hörig gebärdete. Es ist ein Baustein mehr zur Isolierung Israels nach der Erklärung von Bogota letzte Woche. Denn internationale Kritik fürchtet der zionistische Staat (»die einzige Demokratie im Nahen Osten«) wie der Teufel das Weihwasser. Apropos Weihwasser: Heute hat der lateinische Patriarch von Jerusalem, Pizzaballa, eine Erklärung veröffentlicht, klarer und deutlicher geht es nicht. Aber wer hat sich der Erklärung der 25 Staaten nicht angeschlossen? »Natürlich« Deutschland. Wieder die von Merkel eingeläutete »Staatssaison«, übersetzt: Mordet ruhig weiter, ihr Massenmörder! Ich kann nur eines dieser Regierung zurufen: Schämt euch!

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