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Aus: Ausgabe vom 22.07.2025, Seite 16 / Sport
Radsport

Edelhelfer auf der Flucht

Klare Kräfteverhältnisse: Die zweite Woche der Tour de France
Von Holger Römers
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Edelhelfer Tim Wellens im Ziel (Carcassonne, 20.7.2025)

Als die Tour de France am Montag den zweiten Ruhetag einlegte, mochten die Podiumsplazierten des Vorjahres ihre Gedanken schon künftigen Plänen zuwenden. Noch bevor das aktuelle Rennen die Alpen erreicht hat, hat der Sieger von 2024, Tadej Pogačar (UAE Team Emirates – XRG), nämlich gut vier Minuten Gesamtvorsprung. Also wäre es vernünftig, Kräfte für die Ende August beginnende Vuelta a España zu schonen, an der der 26jährige Slowene teilnehmen will. Im Hinblick auf seine jetzige Führung war er jedenfalls sorglos genug, dem Edelhelfer Tim Wellens am Sonntag eine Flucht zu erlauben: Aus der Ausreißergruppe des Tages fuhr der 34jährige Belgier solo zum Etappenerfolg.

Auch das Team Visma – Lease a Bike scheint mehrheitlich die Gesamtwertung für entschieden zu halten. Dessen Kapitän Jonas Vingegaard war zu Beginn der sonntäglichen Etappe in einen (relativ harmlosen) Massensturz verwickelt, woraufhin er Kollegen die Distanz zum geschrumpften Peloton verringern ließ, bevor er die Lücke durch eigenen Kraftaufwand schloss. Die Panikreaktion des Vorjahreszweiten legte, da alle Klassementfahrer außer Pogačar aufgehalten worden waren, den Schluss nahe, dass der 28jährige Däne immer noch eine Wiederholung seiner Gesamterfolge von 2023 und 2022 erhoffte. Unmittelbar zuvor war freilich klar geworden, dass seine Edelhelfer Victor Campenaerts und Wout van Aert etwaigen Tagessiegen längst Vorrang geben: Während Pogačar mit Rücksicht auf den abgehängten Hauptkonkurrenten das Tempo im Hauptfeld drosseln wollte, schossen die beiden Belgier vorbei, um sich auf hügeligem Terrain der hochkarätigen Fluchtgruppe anzuschließen. Spätestens nach dieser kuriosen Episode sollte Vingegaard ahnen, dass eine Verbesserung seines jetzigen zweiten Ranges wohl frühestens bei der Tour 2026 realistisch ist.

Allzu eindeutig erscheinen zur Zeit die Kräfteverhältnisse. Pogačar hat Vingegaard nicht nur beim Bergzeitfahren am Freitag auf Platz zwei verwiesen, sondern auch tags zuvor auf der ersten Pyrenäenetappe. Da erzielte er einen imposanten Vorsprung von über zwei Minuten, indem er, kaum dass der gut dreizehn Kilometer lange Schlussanstieg nach Hautacam erreicht war, sogleich angriff. Man mochte vorübergehend spekulieren, ob er Opfer seines Übermuts werden würde, denn er hätte eigentlich noch Kollegen arbeiten lassen können, während sein Hauptkonkurrent bereits isoliert war. Zudem war er 24 Stunden zuvor böse gestürzt: Dieser Vorfall vom Mittwoch mochte mittelbar eine Folge jener fortgesetzten Chaostaktik sein, mit der Team Visma auch im Finale dieser in Toulouse endenden Etappe für Hektik in der Favoritengruppe sorgte, die mit unaufholbarem Abstand Ausreißern folgte, von denen der 29jährige Norweger Jonas Abrahamsen (Uno-X Mobility) im Zweiersprint den Tagessieg errang.

Blessuren am Arm und an der Hüfte konnten Pogačar nicht bremsen – weshalb wohl auch angebliche Erkältungssymptome nicht ernst zu nehmen sind, die er am Sonntag im Etappenziel Carcassonne erwähnte. Derweil ist unklar, ob es gesundheitlichen Problemen geschuldet ist, dass der Vorjahresdritte nach drei schwachen Tagen aufgab. Am Tourmalet, dem ersten von vier Pyrenäenanstiegen, stieg Remco Evenepoel (Soudal Quick-Step) am Sonnabend entnervt ins Mannschaftsauto. Später sagte der 25jährige Belgier, dass er den Zielort Luchon-Superbagnères, wo der gleichaltrige Niederländer Thymen Arensman (Ineos Grenadiers) aus einer Ausreißergruppe zum Solosieg fahren sollte, hätte erreichen können. Da die Hoffnungen auf einen Podiumsplatz geplatzt waren, habe er aber dem Formaufbau für künftige Saisonziele, vor allem für die WM in Ruanda, Vorrang vor einer Beendigung der Tour gegeben – die für Radsporttraditionalisten selbstredend Ehrensache wäre.

Auf Vingegaard folgt in der Gesamtwertung nun mit gut dreieinhalb Minuten Rückstand Florian Lipowitz (Red Bull – Bora – Hansgrohe), was überraschend ist, aber nach regelmäßigen Spitzenplätzen bei einwöchigen Rennen nicht sensationell. Sofern der Massensturz vom Sonntag den 24jährigen Deutschen nicht mittelfristig behindert, sollte er zumindest das Weiße Trikot des besten jungen Fahrers verteidigen können. Als Siebter der letzten Vuelta war er jedenfalls bisher bei Grand Tours wesentlich erfolgreicher als die im Gesamtklassement Folgenden, der 22jährige Schotte Oscar Onley (Team Picnic PostNL) und der 24jährige Franzose Kévin Vauquelin (Arkéa – B&B Hotels). Als Sechster könnte indes gegebenenfalls auch Lipowitz’ nomineller Kapitän Primož Roglič noch in den Kampf ums Podium eingreifen, selbst wenn der 35jährige Slowene bisher auffallend lustlos wirkt.

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