Kapitale Unterstützung
Von Daniel Bratanovic
Manchmal ist das Gegenteil wahr. Biologen wissen schon seit längerem, dass nicht zwingend und schon gar nicht immer das Survival of the fittest, sondern Kooperation einen Evolutionsvorteil ausmacht. Und in der Anwendung der schwachen Kernkraft mit der Absicht, Energie zu gewinnen, bringen Wissenschaftler und Ingenieure nun auch schon wieder seit etlichen Jahrzehnten die Devise vor: vereinen, statt trennen, Kernfusion, nicht Kernspaltung.
Nachdem die Verheißungen schneller, sauberer und schier unbegrenzter Energie sich aber einfach nicht erfüllen wollten, dümpelte die Forschung an den Fusionsprozessen lange vor sich hin, das Interesse war gering. Beim Bau des weltweit größten Kernfusionsreaktors im südfranzösischen Cadarache, dem internationalen Forschungsprojekt ITER, kommt es immer wieder zu Verzögerungen, eine Inbetriebnahme ist mittlerweile erst für 2036 vorgesehen.
Politische, ökonomische und ökologische Erwägungen – die Unabhängigkeit von rohstoffliefernden Ländern, wachsender Energiebedarf, CO2-Neutralität – haben jetzt allerdings dazu geführt, dass sich auch Kapital für die Kernfusion interessiert und bereit ist, beträchtliche Summen in entsprechende Forschung und Entwicklung zu stecken. Reine Privatinitiative gibt es selbstredend nicht, ohne staatliche Anschubfinanzierung und Garantien wäre kein Kapitalist bereit, Geld möglicherweise ergebnislos zu verfeuern. Die amtierende Regierung setzt sich ausweislich des Koalitionsvertrags das Ziel, dass der erste Fusionsreaktor der Welt in Deutschland steht. Gleich vier deutsche Startup-Unternehmen geben vor, dass sie es sein werden, die dieses Ziel erreichen. Das Münchener Fusionsunternehmen Proxima Fusion konnte Mitte Juni vermelden, die Rekordsumme von 130 Millionen Euro eingesammelt zu haben, auch die anderen drei waren mit ihrer Kollekte erfolgreich.
Die Kernfusion als technisches Konzept – also die Idee, das Wasserstoffbrennen der Sonne zu imitieren und Energie durch Verschmelzung von Wasserstoffisotopen zu Helium zu gewinnen – kennt zwei Ansätze: die Trägheitsfusion und die Magnetfusion. Die Unternehmen Marvel Fusion und Focussed Energy setzen auf Trägheitsfusion. Dabei schießen Laser auf ein pfefferkorngroßes Kügelchen, das ein gefrorenes Pellet der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium enthält. Die Energieimpulse der Laser erhitzen das Pellet auf mehrere Millionen Grad Celsius, die Atomkerne beginnen zu Helium zu verschmelzen. Ende 2022 meldeten US-amerikanische Forscher, dass bei entsprechenden Experimenten 2,05 Megajoule Energie auf ein solches Kügelchen übertragen, aber 3,15 Megajoule Energie freigesetzt wurden. Eine positive Energiebilanz also. Allerdings geht die Rechnung nicht ganz auf. Denn die Laser benötigten ganze 322 Megajoule Energie, um überhaupt Laserlicht zu erzeugen. Es wird bei diesem Ansatz also auf Laser ankommen, die ultrastarke Lichtblitze effizient erzeugen können. Die gibt es aber noch nicht.
Die Magnetfusion funktioniert anders. Um Fusionsprozesse in Gang setzen zu können, muss Wasserstoff stark erhitzt und damit in den Plasmazustand überführt werden. Dabei geht es um Temperaturen, die deutlich über denen im Innern der Sonne liegen, da der im Stern herrschende Druck nicht hergestellt werden kann. Nur bei entsprechender Hitze – bis zu 250 Millionen Grad – bewegen sich die Atomkerne schnell genug, um ihre gegenseitige elektrostatische Abstoßung zu überwinden. Dabei darf das Plasma die Wände des Gefäßes, in dem es erzeugt wird, nicht berühren, da es andernfalls sofort abkühlen würde. Um das zu verhindern, wird das Plasma in ein Magnetfeld gesperrt und in der Schwebe gehalten.
Um die Frage, wie das Plasma am besten kontrolliert werden kann, konkurrieren zwei Typen von Fusionsreaktoren: der Tokamak – ITER ist ein Modell dieses Typs – und der Stellarator. Im Tokamak wird das Plasma in einem donutförmigen Gefäß durch ringförmige Magnetspulen und ein im Plasma selbst liegendes, durch einen Transformator erzeugtes Magnetfeld in Schach gehalten. Der Tokamak hat einen Nachteil: Der Transformator kann keinen Dauerstrom liefern und muss von Zeit zu Zeit abgeschaltet werden. Der Plasmaeinschluss geht während der Pause verloren, die Kernfusion setzt aus und muss danach neu »gezündet« werden. Der Tokamak arbeitet also nicht kontinuierlich, sondern gepulst.
Anders der Stellarator, der ohne Transformator auskommt. Das Plasma kann allein durch die äußeren Magnetspulen kontrolliert werden, was aber voraussetzt, dass sie unregelmäßig und ziemlich komplex konstruiert sein müssen. Der Stellarator kann so im Dauerbetrieb arbeiten.
Die beiden anderen Startup-Unternehmen, Proxima Fusion und Gauss Fusion, verfolgen das Ziel, schon in 20 Jahren jeweils einen Reaktor vom Typ Stellarator ans Netz anzuschließen, und haben dabei einen Anschauungs- und Untersuchungsgegenstand, von dem sich lernen lässt. In Greifswald steht mit Wendelstein 7-X, die weltweit größte Stellarator-Testanlage, und von dort werden in regelmäßigen Abständen Fortschritte vermeldet.
Das alles entscheidende Erfolgskriterium bei der Kernfusion besteht darin, dass der Reaktor mehr Energie erzeugt, als in Form der Heizleistung hineingesteckt werden muss. Anfang Juni gaben die Forscher in Greifswald bekannt, dass Wendelstein 7-X einen neuen Höchstwert für Temperatur, Dichte und Brenndauer des Fusionsplasmas erzielt habe. Dieses sogenannte Tripleprodukt ist die zentrale Erfolgsgröße; überschreitet es eine bestimmte Schwelle, trägt sich die Fusionsreaktion selbst, ohne dass weiter geheizt werden muss. Der Reaktor weist dann eine positive Energiebilanz auf.
Trotz aller bisherigen Erfolge und trotz der Ambitionen des Industriekapitals dürfte der Weg zur kommerziell nutzbaren Kernfusionsenergie noch ziemlich weit sein, da etliche Fragen einer Klärung harren. Welches Material hält den extremen physikalischen Zuständen am ehesten stand? Woher kommt das für die Fusion notwendige Wasserstoffisotop Tritium, von dem es auf dem ganzen Planeten nur etwa 20 Kilogramm gibt?
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Wandernde Pole
vom 22.07.2025