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17.07.2025, 18:57:51 / Kapital & Arbeit

»Absolute Katastrophe«: Lieferando will 2.000 Fahrer entlassen

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Unterwegs in die Scheinselbstständigkeit? Ein Lieferando-Fahrer in Berlin (18.4.2024)

Berlin/Hamburg. Der Essens-Lieferdienst Lieferando will ab dem Jahresende bundesweit rund 2.000 Fahrerinnen und Fahrer entlassen, viele davon in Hamburg. Das entspreche rund 20 Prozent der gesamten Flotte, teilte Lieferando mit. Grund sei, dass die Plattform bei der Auslieferung auf der sogenannten letzten Meile künftig stärker mit Subunternehmen zusammenarbeiten werde. »Die Wettbewerbslandschaft und der Markt ändern sich immer rasanter und tiefgreifender«, sagte Deutschlandchef Lennard Neubauer am Donnerstag gegenüber dpa. Insbesondere in kleineren Märkten, etwa Wiesbaden, Lübeck oder Bochum, werde Lieferando künftig deshalb mit spezialisierten Logistik-Unternehmen zusammenarbeiten, die die Auslieferung mit eigenen Fahrerinnen und Fahrern übernähmen, sagte Neubauer weiter. Auch in Hamburg gehe Lieferando diesen Weg. Aufgrund ihrer Größe werde der Stellenabbau die Hansestadt besonders stark treffen. Über die Maßnahmen sollte am Nachmittag der Gesamtbetriebsrat informiert werden. »Die Verhandlungen über einen Sozialplan sollen bei der Schwestergesellschaft so schnell wie möglich beginnen«, betonte Neubauer. Ziel sei, den Prozess bis zum Ende des Jahres, spätestens im ersten Quartal 2026 abzuschließen.

Lieferando gehört zum niederländischen Lieferdienst Just Eat Take Away. Das Geschäft in Deutschland wird von der Tochter Lieferando Marktplatz Gesellschaft geführt. Die Fahrerinnen und Fahrer waren über eine weitere Tochter, Takeaway Express, bisher fast ausschließlich fest beim Unternehmen angestellt. Das soll auch künftig für die meisten Fahrer so bleiben. Rund fünf Prozent des Liefervolumens werde indes an spezialisierte Drittanbieter ausgelagert, hieß es. Das Konzept wurde bereits in Berlin mit einem Subunternehmen getestet. Auch in der Hauptstadt soll das in einigen Bezirken weiter so umgesetzt werden.

Lieferando verweist darauf, dass die Zusammenarbeit mit Subunternehmen im Markt gängige Praxis sei. Tatsächlich gehen auch Wettbewerber wie Uber Eats und Wolt so vor. Wolt betont, dass bei den eigenen Partnerunternehmen die Fahrerinnen und Fahrer stets direkt angestellt sind. Doch das ist nicht bei allen Wettbewerbern der Fall.

Beschäftigtenvertreter kritisieren im Lieferdienst-Sektor ausbeuterische Verhältnisse und weit verbreitete Scheinselbstständigkeit. Das Problem ist EU-weit so groß, dass die EU-Kommission eine Plattformrichtlinie erlassen hat, um Scheinselbstständigkeit im Plattformgeschäft zu unterbinden. Diese muss auf nationaler Ebene noch umgesetzt werden. Dass Lieferando die Fahrer meist direkt beschäftigt hat, stieß daher auf Zuspruch bei Vertretern der Beschäftigten. Entsprechend groß ist nun die Empörung. »Wir sind fassungslos, das ist eine absolute Katastrophe«, sagte Mark Baumeister, Referatsleiter Gastgewerbe bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), gegenüber dpa. »Lieferando gibt die Verantwortung für Beschäftigte ab, das können wir nicht gutheißen. Wir sehen das als einen Angriff auf Mitbestimmung und Beschäftigtenstrukturen bei Lieferando«, so Baumeister. Die Politik müsse handeln, um solche Geschäftsmodelle in Zukunft zu unterbinden. Man brauche »definitiv das Gebot der Festanstellung wie in der Fleischindustrie«. Die NGG kämpft bereits seit Jahren um einen Tarifvertrag für die Lieferando-Beschäftigten und einen Mindestlohn von 15 Euro pro Stunde. Erst kürzlich rief die Gewerkschaft deshalb erneut zu Warnstreiks in Hamburg auf. Mit der Auslagerung eines Teils des Liefergeschäfts an Drittunternehmen dürfte es die Gewerkschaft deutlich schwerer haben, für einheitliche Beschäftigungsverhältnisse zu sorgen. (dpa/jW)

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