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Aus: Ausgabe vom 18.07.2025, Seite 16 / Sport
Breitensport

Am Puls

Brennglas großer Sportpolitik: Der hessische TV Seckbach 1875 feierte seinen 150. Geburtstag
Von Andreas Müller
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Die Seckbacher Meckerer zur Fastnacht

Bei weit über 30 Grad Celsius war der Rahmen für einen Besuch von Martin Engelhardt neulich im Main-Frankfurter Osten ein nahezu tropischer: Die rund 800 Mitglieder des örtlichen Turnvereins in Seckbach begingen den 150. Geburtstag des Vereins, Gastredner war der Vizepräsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), des großen Dachverbandes. Eine kleine Sensation für den beschaulichen Stadtteil. Und ein Abend, an dem der DOSB-Vize den Puls der sportlichen Basis fühlen durfte, der eher unscheinbare TV Seckbach 1875 e. V. wiederum zum Brennglas großer Sportpolitik wurde. Nicht zuletzt, weil auch Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef in der betagten Sporthalle vor über 140 Gästen auftrat und sich bei den Vereinsmitgliedern bedankte: Es seien schließlich all diese Menschen, die hier unterm Vereinsdach für Sport und Bewegung, für gemeinsame Erlebnisse und eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung sorgten. Gerade in Zeiten wie diesen brauche es die Sportvereine »als Anker, an denen sich die Menschen festhalten können«.

Erstaunen huschte über die Gesichter in dem vollbesetzten Saal, wo normalerweise Eltern-Kind-Turnen oder Stuhlgymnastik für Hochbetagte stattfindet. Hatten sie richtig gehört? Der erste Mann ihrer Stadt hatte sich persönlich bedankt für das, was sie hier tun? Sport im Verein und Vereinsarbeit sind vielleicht doch nicht so selbstverständlich. DOSB-Vize Engelhardt sagte dann auch prompt: »Es sind Leistungen, die Sie für die ganze Stadt vollbringen und für das Gemeinwohl.« Und: »Sportvereine sind Bastionen für die Demokratie.«

Engelhardt zitierte aus der Festschrift des Vereins zum runden Jubiläum, weil man es »treffender nicht sagen« könne: »Sind Sportvereine in einer immer mehr technisierten, sich immer schneller drehenden Welt noch vonnöten und zeitgemäß?« (…) »Werden sie weiterhin vom Publikum angenommen oder aussterben wie dereinst die riesengroßen Urtiere? Wir im kleinen Stadtteil Seckbach beantworten die Frage mit einem glatten Ja! Ganz bestimmt wird der Verein an sich und hoffentlich auch unserer hier überleben und für die Menschen ringsum eine sportliche Heimat bleiben. Für manchen sogar ein regelrechtes Zuhause in einer immer hektischeren, unpersönlicheren Zeit. Wenn die Coronaära einen Nutzen hatte, dann wohl den, zu demonstrieren, wie sehr Menschen in jener Phase der Lockdowns ihren Sportverein vermissten, wie hilfreich diese Institution zum Beispiel gegen die neue Volkskrankheit Vereinsamung und Einsamkeit wirkt, von ihren anderen sozialen und gesundheitlichen Vorzügen gar nicht zu sprechen, wie vom unvergleichlichen Beitrag der Sportvereine zum körperlichen und geistigen Wohlbefinden.«

Von diesen und ähnlichen Gedanken zu Martin Engelhardts »Hochrechnung«, dass sämtliche der rund 86.000 Sportvereine im Bundesgebiet »Keimzellen der Demokratie« seien, war es da nur ein kleiner gedanklicher Hüpfer. Ebenso zu seiner Aussage, dass es gewissermaßen die erste Bürgerpflicht sei, Vereinskultur- und Landschaft mit ihren insgesamt fast 29 Millionen Mitgliedern in deren Existenzgrundlagen zu erhalten und zu stärken. Von Sportstätten als äußerer Hülle war die Rede, von ehrenamtlichen Vorständen, Übungsleitern, Trainern und Helfern als menschlicher Komponente, ohne die sich praktisch nichts und niemand bewegen lasse. »Das ist ein gesellschaftliches Pfund, aber offen gestanden machen wir viel zu wenig daraus«, so Engelhardt, was ihm Szenenapplaus vom Publikum brachte. »Mit diesem Pfund im Rücken müssten wir uns als organisierter Sport viel mehr einmischen als bisher und von der Politik einfordern, dass sie den gesellschaftlichen Stellenwert des Vereinssports besser erkennt, würdigt und unterstützt.«

Eine sportpolitische Feststellung ersten Ranges. Was die Gesamtsituation in der Bankenmetropole anbelangt, konnte der langjährige Vorsitzende des Sportkreises Frankfurt, Roland Frischkorn, am Rande der Veranstaltung neue Zahlen nennen. In vielen Sportarten müssten die über 120 Sportvereine einen »Aufnahmestopp« verhängen. Um der Nachfrage Herr werden zu können, bräuchte es in der Stadt »zehn zusätzliche Dreifelderhallen«. Die Sportvereine hier haben 341.248 Mitglieder, sieben Prozent mehr als 2024 und fast ein Drittel mehr als 2021. Als Frischkorn im Jahr 2000 an die Spitze des Sportkreises gewählt wurde, waren es gerade mal 140.000 Mitglieder. Was der Vereinssport ehrenamtlich leistet, illustrierte der erfahrene Sportpolitiker anhand einer Privatrechnung. »Es wird immer sehr verallgemeinernd über den Wert dieser ehrenamtlichen Arbeit für die Gesellschaft gesprochen. Für Frankfurt habe ich das einmal etwas griffiger herauszufinden versucht. Die Bezüge aller Stadtverordneten zugrunde gelegt, beläuft sich der Nutzen aller Ehrenamtler im Sport für die Stadt auf jährlich über 140 Millionen Euro. Das ist doch gewaltig.«

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