Die falschen Fahnen
Von Matthias Rude
Bereits in der Vergangenheit wurden in der Gedenkstätte Buchenwald Besucher mit palästinasolidarischen Symbolen des Geländes des ehemaligen KZ der Nazis verwiesen. Die Website des Erinnerungsorts listet nicht nur faschistische, sondern auch kommunistische Organisationen als »nicht willkommen«. Eine jüngst öffentlich gewordene Broschüre zeigt: Die Gleichsetzung hat System. Das Gedenken wird zunehmend politisch gefiltert – wer es nicht im Sinn der Staatsräson betreibt, ist nicht erwünscht.
Mit einer »Handreichung« für ihre Bildungs- und Security-Abteilungen hat die Gedenkstättenleitung unbequeme Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Unter dem Titel »Problematische Marken, Codes, Symbole und Zeichen rechtsradikaler und antisemitischer Gruppierungen« wird Gegnern des Genozids in Gaza und Befürwortern eines Waffenstillstands dort »israelbezogener Antisemitismus« unterstellt: Das traditionelle Tuch Kufija sei mit der Ausgrenzung von Juden verbunden, der Ruf nach einem Schweigen der Waffen eine »israelfeindliche Parole«, heißt es in dem Dokument.
Palästinensische Symbole werden darin zu Zeichen einer Blut-und-Boden-Ideologie umgedeutet. So markiere ein Olivenzweig die »Verbindung des palästinensischen Volkes mit dem palästinensischen Boden« und die »Negierung« des Rechts von Juden »auf ein Leben in Israel«. Eine Palästina-Fahne in Verbindung mit einer sowjetischen Flagge »delegitimiere« den israelischen Staat, rücke ihn »in die Nähe von Imperialismus und Faschismus«.
Gearbeitet wird nicht mit wissenschaftlichen Quellen – als Kronzeugen dienen antikommunistische Akteure wie die Amadeu-Antonio-Stiftung und der »antideutsche« Blog »Ruhrbarone«. Entsprechend finden sich geschichtsrevisionistische Falschbehauptungen. Der »Mufti von Jerusalem« etwa soll »SS-Mitglied« gewesen sein – ein Mythos aus dem Repertoire rechter Agitation, die versucht, die palästinensische Nationalbewegung mit dem deutschen Faschismus zu identifizieren. Schließlich werden »autoritär-dogmatische« linke Gruppen aufgelistet, die »anfällig« für Antisemitismus und deshalb teils vom Gedenken »ausgeschlossen« seien.
Obwohl es sich um eine »nicht zur Veröffentlichung bestimmte Arbeitsfassung« handeln soll, ging das Papier über Justizverteiler an Richter und Staatsanwälte. Das Dokument machte schließlich im Internet schnell die Runde. Bürgerliche Medien problematisieren die Empörung, die das Pamphlet ausgelöst hat: »Shitstorm gegen Gedenkstätte«, titelt etwa die Taz. Im Deutschlandfunk-Interview rechnet Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner die Flagge des israelischen Staates kurzerhand zu den »Traditionsfahnen der Überlebendenverbände« – damit sie trotz des nach dem russischen Angriff auf die Ukraine erlassenen Fahnenverbots auf dem Gelände weiter gezeigt werden kann.
Auf Nachfrage von junge Welt, ob rote Fahnen mit Hammer und Sichel noch gestattet seien, antwortet die Gedenkstätte hingegen: »Die Sowjetunion war kein Überlebendenverband.«
Gruppen wie der Kommunistischen Partei (KP) wird vorgeworfen, mit Fahnen in Buchenwald »posiert« zu haben. Auf ihrer Website spricht die KP von einem »Frontalangriff auf den Antifaschismus«. Die österreichische Zeitung der Arbeit titelt: »Antifaschismus unter Verdacht«.
Tatsächlich versucht die Gedenkstätte, ihre Geschichte umzudeuten. Sie behauptet beispielsweise, der Schwur von Buchenwald sei »entsprechend den Zielsetzungen kommunistischer Häftlinge umformuliert« worden und interpretiert die Präzisierung des Schwurs mit der Formulierung »Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln« durch dessen Verfasser selbst als eine nachträgliche Manipulation oder Vereinnahmung im Sinne der »Durchsetzung kommunistischer Herrschaft«.
Wie sehr sich das politische Koordinatensystem verschoben hat, zeigt sich dadurch, dass eine Form des Gedenkens diffamiert wird, die in der DDR selbstverständlicher Bestandteil offizieller Erinnerungspolitik war. Der politische Gehalt dieser Entwicklung ist unübersehbar: In einer Phase, in der sich deutsche Außenpolitik durch bedingungslose Israel-Treue profiliert, wird auch die staatliche Erinnerungskultur auf Linie gebracht. Damit verliert das Gedenken nicht nur seinen historischen Gehalt. Es wird selbst zum Schauplatz ideologischer Umpolung.
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