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Aus: Ausgabe vom 16.07.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Südamerika

Milei macht sich Feinde

Argentiniens Präsident fürchtet um Haushaltsüberschuss – und vergrätzt frühere Verbündete in den Provinzen
Von Frederic Schnatterer
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Liebt die Pose, liebt die Selbstinszenierung: Der ultralibertäre Staatschef Javier Milei (Buenos Aires, 14.5.2025)

Es ist ein erster Aufstand gegen den Präsidenten, nur drei Monate vor den wichtigen Parlamentswahlen. Ende vergangenenr Woche eskalierte in Argentinien der Streit zwischen Staatschef Javier Milei und Vertretern mehrerer Provinzen. Im Senat stimmten letztere für eine Reihe von Gesetzesinitiativen, darunter eine Erhöhung der Zahlungen an die Provinzregierungen und der Rentenzahlungen um 7,2 Prozent, die Milei gleich zu Beginn seiner Amtszeit Ende 2023 eingefroren hatte.

Milei wütete: Die Abstimmungen wertete der Ultralibertäre als »institutionellen Putschversuch« und verkündete, ein Veto einlegen zu wollen. Dort, wo es eine Zweidrittelmehrheit gibt und der Präsident daher kein Vetorecht hat, wolle er gesetzlich gegen die Maßnahmen vorgehen. Das, so seine Hoffnung, werde ihre Umsetzung zumindest bis nach den Wahlen verzögern, die Ende Oktober stattfinden. Dann wird die Hälfte der Abgeordneten und ein Drittel der Senatoren neubestimmt. Für Mileis Projekt des radikalen Staatsabbaus wäre ein Erfolg wichtig. Sein Parteienbündnis La Libertad Avanza verfügt bisher in keiner der beiden Kammern über eine eigene Mehrheit.

Problematisch für den Präsidenten: Die geplanten Maßnahmen würden Geld kosten. Diese Zusatzausgaben gefährdeten den Haushaltsüberschuss, den die Milei-Regierung in den 18 Monaten an der Macht erreicht hat. Mileis »größter Erfolg«. Dafür hatte er etwa die Entlassung von 50.000 Staatsbediensteten, die Schließung von 100 staatlichen Einrichtungen und die Einstellung aller öffentlichen Bauvorhaben durchgesetzt.

»Saniert« wurde der Haushalt zudem durch ein windiges Manöver. Die Zentralregierung behält für die Provinzen eingetriebene Finanzmittel in ihrer Kasse, statt sie an die Gourverneure zu überweisen. Während die mit Milei verbündeten Provinzchefs das lange hatten mit sich machen lassen, drehte sich in den vergangenen Wochen der Wind. Hintergrund sind die anstehenden Wahlen und die fehlende Verhandlungsbereitschaft von Mileis La Libertad Avanza. Diese setzt für Ende Oktober fast überall auf eigene Kandidaten.

Die Gouverneure, die oftmals aus regional verankerten und vor allem Partikularinteressen verfolgenden Parteien stammen, lesen das als Kampfansage. Zu Recht: Milei setzt und setzte, zuletzt im Hauptstadtdistrikt Buenos Aires, auf einen fulminanten Sieg. Dort hatte La Libertad Avanza im Mai die rechte Propuesta Republicana (Pro) von Expräsident Mauricio Macri derart schwächen können, dass die Pro sich nun gemeinsame Listen aufzwingen lässt.

Besonders für die Provinz Buenos Aires, wo bereits Ende September ein neuer Gourverneur gewählt wird, dürfte das relevant werden. Die Provinz ist die bevölkerungs- und wirtschaftsstärkste ganz Argentiniens. Regiert wird sie mit Axel Kicillof von einem Politiker des oppositionellen »Kirchnerismus«, der als künftiger Anführer der Richtung gilt. Das um so mehr, seit die Expräsidentin Cristina Fernández de Kirchner unwiderruflich von Wahlen ausgeschlossen wurde, nachdem ihre Verurteilung wegen angeblicher Korruptionsvergehen bestätigt wurde.

Hinzu kommt seit dem Wochenende ein weiterer Konflikt. Die Vizepräsidentin Victoria Villarruel ging über die »sozialen Medien« zur Gegenattacke über, nachdem Milei und dessen Verbündete sie öffentlich als »Verräterin« beschimpft hatten. Villarruel, deren Verhältnis zu Milei seit langem als zerrüttet gilt, ist als Vizepräsidentin gleichzeitig Senatsvorsitzende. Als solche hätte sie die fragliche Senatssitzung einfach nicht einberufen können.

Auf Instagram erklärte Villarruel, Milei könne ja bei seinen Auslandsreisen oder dem Geheimdienst SIDE sparen, wenn er so besorgt um den Haushaltsüberschuss sei. Zudem warf sie dem Präsidenten vor, die wahren Probleme und Nöte der Argentinier nicht zu kennen. Das Bündnis mit Villarruel verhalf Milei zu Beginn seiner politischen Karriere zu wichtigen Kontakten in bereits etablierte ultrarechte Kreise. Die Militärstochter ist auch international gut vernetzt und rechtfertigt die Verbrechen der vergangenen Militärdiktatur (1976–1983).

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