Klassenkampf gegen Aufrüstung
Von Susanne Knütter, Salzgitter
Man hätte annehmen können, die inzwischen dritte Gewerkschaftskonferenz für den Frieden, organisiert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der IG Metall Salzgitter-Peine, würde breiter rezipiert werden – auch in bürgerlichen Medien. Denn zu den Rednern gehörten die ehemalige Staatssekretärin der letzten DDR-Regierung, Petra Erler, die Bundestagsabgeordneten der SPD, Jan Dieren und Ralf Stegner, sowie der Podcaster und Autor Ole Nymoen. Gerade die beiden Letztgenannten bezogen in letzter Zeit medial Prügel für ihre friedenspolitischen Positionen. Auf dem Abschlusspodium der Konferenz am Sonnabend widersprach Stegner erneut aktuellen Aufrüstungslogiken. Er glaube nicht an die Erzählung »Lass uns nur so viele Waffen wie möglich anschaffen, das bringt Frieden«. Dagegen spreche die Geschichte. Und niemand könne glauben, dass soziale Ausgaben noch möglich sind, nachdem erst einmal Milliarden für Rüstung ausgegeben wurden und dann Milliarden Euro für die Folgen des Krieges, wie den Aufbau der Ukraine. »Kriege zu beenden ist der erste Schritt«, was gerade für Deutschland als drittgrößte Wirtschaftsmacht und vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs, »der noch gar nicht so lange her ist«, oberstes Prinzip sein müsse. In bezug auf Israels Krieg gegen die Palästinenser sagte Stegner: »Jeder hat das gleiche Recht auf Humanität.«
Ole Nymoen kritisierte den falschen Solidaritätsbegriff seiner Gegner. Im zivilen Leben zwinge der Staat die Bürger permanent zur Konkurrenz, aber im militärischen verlange er ihre Solidarität gegenüber dem Staat. Gerade junge Leute hätten nichts zu erwarten. Entsprechend fallen auch ihre Zustimmungswerte zur Wehrpflicht aus. »Die Mehrheit ist skeptischer als die ältere Generation.« Dass die Wehrpflicht wieder eingeführt wird, stehe jedoch fest, sagte Nymoen. Man tue bloß noch ein Jahr so, als wäre sie freiwillig.
Wohin das führt, sprach unter anderem die Abgeordnete der Linkspartei im EU-Parlament, Özlem Demirel, aus. Auf EU-Ebene werde bereits viel offener als in Deutschland darüber geredet, dass die Europäische Union sich auf eine Zeit vorbereiten müsse, in der die Welt neugeordnet wird unter den ökonomischen Großmächten USA, China und EU. Dafür habe die EU bereits viel früher und mehr Instrumente geschaffen als die BRD. So wolle EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in den nächsten fünf Jahren bis zu 1.000 Milliarden Euro in den EU-Mitgliedstaaten für Aufrüstung mobilisieren. »Da reden wir nicht mehr über Russland oder China, sondern über eine Großmacht, die ihre Rolle in der Welt sucht.« Der Ukraine-Krieg sei nicht der Ausgangspunkt der geopolitischen Verschiebungen, sondern der Brandbeschleuniger im Wettbewerb um die Aufteilung der Welt gewesen. »Und im Nahen Osten sehen wir gerade, wie die Region komplett neugeordnet werden soll.« Dabei gehe es weder der Bundesrepublik Deutschland noch der EU um historische Verantwortung, sondern »knallhart um Interessen, Neustrukturierung, Macht, Einfluss, Ressourcen«, sagte Demirel. »Dagegen müssen wir mit Klassenpolitik antworten.« Militarismus bedeute immer Expansionswille nach außen und stärkere Repression nach innen.
Hintergrund: Lügen entlarven
Zu den großen Lügen, die derzeit vehement wiederholt werden, gehört die: Investitionen in die Rüstung würden für Wachstum sorgen. Eine andere lautet: Eine Milliarden-Euro-starke Aufrüstung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Sozialstaates sei möglich. Dierk Hirschel, Chefökonom von Verdi, verneinte beides in seinem Vortrag auf der dritten Gewerkschaftskonferenz für den Frieden in Salzgitter. Tatsächlich, so Hirschel, sind Militärausgaben aus ökonomischer Sicht keine Investitionen. Sie sind »totes Kapital, staatlicher Konsum, sie werfen keine Erträge ab«. Das ist der Unterschied zu einer Investition in den Straßenbau oder in eine Kita. Die werfen perspektivisch Erträge ab. In einer Kita werden Leute ausgebildet und Menschen herangezogen, die später zu Fachkräften werden können, die zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes beitragen können. Rüstungsausgaben dagegen sind unproduktive Ausgaben und sie ziehen Ressourcen aus produktiven Bereichen ab, zum Beispiel Fachkräfte und Kapital.
Allerdings: Der Schuldendienst infolge von Militärausgaben wird höher ausfallen als bei Investitionen in Infrastruktur, Bildung usw., weil Militärinvestitionen sich letztlich nicht selbst finanzieren. Theoretisch brauche ein Staat keine Schulden tilgen, so Hirschel, sondern nur die Zinsen (siehe USA und Japan). Die Union bestehe aber auf Schuldentilgung. Das bedeutet an die 100 Milliarden Euro Schulden- und Zinstilgung allein bis 2029. Aktuell beträgt der Bundeshaushalt 470 Milliarden Euro. Gleichzeitig wächst der Finanzierungsbedarf des Sozialstaats. Der Finanzierungsspielraum aber wird enger. Das heißt, die Verteilungskämpfe, die es bereits gibt (siehe Pflegekasse), werden härter.
Selbst wenn es gelingt, den Beschäftigten und Kollegen zu erklären, was die grenzenlose Aufrüstung allein sozialpolitisch bedeutet, kommt nicht selten der Einwand: Aber was, wenn wir wirklich angegriffen werden. Müssen wir dann nicht verteidigungsfähig sein? Hier greift die nächste Lüge: Russland greife als nächstes die baltischen Staaten, dann Deutschland an. Ingar Solty, Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung, äußerte sich in seinem Referat und der anschließenden Diskussion dazu ganz deutlich: »Es droht kein Angriff Russlands auf die NATO-Staaten. Selbst wenn Russland das wollen würde, könnte es das nicht.« Faktisch wolle Russland das auch nicht. Das könne man ablesen an den Kriegszielen in der Ukraine, die darin bestünden, eine Landverbindung zur Krim herzustellen und einen Regime-Change in der Ukraine herbeizuführen, um das Land bündnispolitisch nicht dem Westen bzw. der NATO zu überlassen. (sk)
Ausführlicher unter: kurzlinks.de/konferenz-fuer-frieden
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Regio:
Mehr aus: Schwerpunkt
-
Rüstung sichert deinen Arbeitsplatz nicht
vom 15.07.2025