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Aus: Ausgabe vom 10.07.2025, Seite 16 / Sport
NOlympia

Das kommende Desaster

Olympia in Deutschland: Hintergründe, Chancen und absehbares Scheitern
Von David Fischer
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Die Ringe der Macht

Gleich vier deutsche Regionen wollen Olympische Sommerspiele ausrichten: München, das Ruhrgebiet, Hamburg und Berlin meldeten im Mai Interesse an. Das Kommando »Auf die Plätze!« hatte Sportstaatsministerin Christina Schenderlein gegeben, die dem Politrentner und DOSB-Vertreter Volker Bouffier (beide CDU) bei einer deutschen Bewerbung zuarbeiten darf.

Die bayrische Landeshauptstadt ging früh in Führung. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) trommelte für ein Münchner »Sommermärchen«. »Bürgerbeteiligung« ist gewährleistet: Für den 26. Oktober ist ein Bürgerentscheid angesetzt. Die Diskussion im Münchner Stadtrat war von sentimentalen Erinnerungen an die Spiele 1972 geprägt. Beim Fehlen guter Argumente tun’s eben Gefühle.

Berlin zog nach. Wenig gaben der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Sportsenatorin Iris Spranger (SPD) über das eigentliche Konzept bekannt, um so größer wurde aufgefahren: »Berlin+« heißt das Konzept, Unterstützung holte man sich aus Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Die Wettbewerbe im Reiten und Dressurreiten könnten sogar in Aachen stattfinden, beim eigentlichen Konkurrenten Nordrhein-Westfalen.

Das Vorhaben ist mit einer Personalie verbunden: Michael Mronz. Der ist neben dem notorischen Thomas Bach und Kim Bui der dritte deutsche Vertreter im IOC – und noch so einiges mehr. Berater, Veranstalter von Sportereignissen, Geschäftsführer der Aachener Reitturnier GmbH, und als solcher Hausherr der dortigen Reitanlage. Kurz, der personalisierte Interessenkonflikt.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) versuchte in der letzten Maiwoche die Lücke zu schließen. Ein »Olympia der Superlative« solle an Rhein und Ruhr stattfinden. Stadionkapazitäten habe die Gegend genug. Die temporäre Flutung der Arena auf Schalke ermögliche es Zigtausenden, den Schwimmwettkämpfen beizuwohnen. Anstelle eines dritten deutschen Olympiastadions täte es auch ein temporäres in Köln oder Essen, das später mit Wohnungen überbaut werden könne. Überhaupt ist »Nachhaltigkeit« das Buzzword der Stunde. Konkurrenz macht da nur noch die »Legacy«, das Erbe respektive Vermächtnis der Spiele.

Am letztmöglichen Tag, dem 31. Mai, brachte sich noch die Hansestadt Hamburg in Stellung. Präsentiert wurde die Bewerbung im Sinnbild »nachhaltiger« Gentrifizierung, dem umgebauten Flakturm an der Feldstraße. Begleitet wurde der Termin von Protesten des Hamburger NOlympia-Bündnisses, maßgeblich unterstützt durch lokale Fußballultras. Auch hier soll es ein Referendum geben, voraussichtlich Ende Mai 2026. Die Kosten werden auf sechs Millionen Euro geschätzt. Nur für das Referendum.

Ursprünglich wollte die deutsche Sportpolitik einen solchen Wettbewerb vermeiden: Der Nachhaltigkeit wegen sollten bereits existente Sportstätten genutzt werden, Städte sollten kooperieren, unterschiedliche Veranstaltungsorte in diversen Regionen einbeziehen und eine gemeinsame, nationale Bewerbung ermöglichen. Doch dann wurde alles umgeworfen. Im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) wurde gemunkelt, das IOC bevorzuge ein »One Village«-Konzept wegen kurzer Wegzeiten zu den Austragungsorten. Bis zum Herbst 2026 will der DOSB entschieden haben. Bis September 2025 plant er eine interne Prüfung der Konzepte, räumt den Kandidaten dann die Möglichkeit ein, Referenden abzuhalten (was freilich nicht verpflichtend ist), um sich schließlich in Abstimmung mit dem Bund auf eine Region festzulegen.

Bislang ist unklar, um welche Spiele es gehen soll: 2036, 2040 oder 2044? Unter seinem früheren Vorsitzenden Thomas Bachs hatte das IOC ein neues Vergabesystem eingeführt, mit dem unter anderem die übliche Sieben-Jahres-Frist zwischen Entscheid und Spielen verabschiedet wurde. Es schien ausgemacht, dass als nächstes der indische Subkontinent dran sein würde. Dann übergab Bach sein Amt an Kirsty Coventry. Sie will das Vergabesystem erneut ändern, voraussichtlich kehrt die Sieben-Jahres-Frist zurück. Damit wäre Olympia 2036 in Deutschland wieder eine reale Option. Historisch heikel, vor allem für Berlin.

Dort traf sich Ende Juni der Sportausschuss des Abgeordnetenhauses. Zum ersten Mal wurde dem Parlament das bereits eingereichte Konzept vorgestellt. Die AfD-Vertreter waren erschreckend schlecht vorbereitet und blamierten sich mit ihren Fragen nach »Stolz« und »Identifikation«. Senatorin Spranger ließ Folie für Folie der Präsentation verlesen und war bemüht, Begeisterung zu versprühen: »Ich brenne dafür, der Regierende Bürgermeister brennt dafür, der Senat brennt dafür.« »Nachhaltigkeit« und »Legacy-Effekte« für die Stadt wurden immer wieder herausgestellt. Olympia sei gut für die Infrastruktur, den Breitensport, die Wirtschaft etc. Die Zeitschinderei sollte dafür sorgen, dass die von den Fraktionen der Grünen und Linken herbeigezogenen olympiakritischen Experten möglichst wenig zu Wort kamen und weitere Nachfragen ausblieben.

Das Kalkül ging nur teilweise auf: Oliver Holtemöller, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, zerpflückte die Bewerbung aus ökonomischer Sicht. Positive wirtschaftliche Effekte von sportlichen Großveranstaltungen seien für die ausrichtenden Städte empirisch nicht nachweisbar. Im Gegenteil: Für London hätten sie Kosten von umgerechnet elf Milliarden US-Dollar bedeutet, denen lediglich drei Milliarden US-Dollar an Einnahmen gegenüberstanden. Umsatz sei die einzige Kenngröße, die immer wieder in Olympiakonzepten genannt würde – ohne die Vorleistungen abzuziehen, also die tatsächliche Wertschöpfung zu betrachten. Auch würden kreative Annahmen über Multiplikatoreneffekte angestellt – also die Behauptung, jeder ausgegebene Euro würde andere Ausgaben nach sich ziehen. Der in den Berliner Plänen genannte Faktor 3,3 sei zwar »sehr positiv, (…) aber nicht nachvollziehbar«. Anders gesagt: Die Behauptung, Olympia hätte positive wirtschaftliche Effekte, entbehrt der Grundlage.

Auch das Versprechen, die Spiele würden dem Breitensport helfen, sei ein leeres, erläuterte der Investigativjournalist Jens Weinreich. Geladen hatte ihn Die Linke, er hat unter anderem zu Korruption in Sportverbänden recherchiert. Im Abgeordnetenhaus machte er sich sogleich beliebt: Aus dem bislang Gesagten habe er gelernt, dass Berlin »zwar keine Schwimmbäder könne, aber Olympia«, so Weinreich. Er erläuterte die Tricks des IOC, die aufgebrachten Gelder in die richtigen Taschen zu lenken. Während der Spiele seien die Prinzipien des freien Marktes ausgehebelt. Viele Kosten tauchten in keiner Bilanz auf, müssten jedoch von der Allgemeinheit getragen werden – etwa die für »Sicherheit«. Fragen nach einer echten Beteiligung der Bevölkerung, etwa durch einen Volksentscheid, konnten dagegen aus Zeitgründen nicht mehr behandelt werden. Hier hatte das Philibustering der Senatorin Erfolg.

Wer auch immer aus dem Rennen der vier Bewerberregionen siegreich hervorgehen wird – verlieren werden am Ende alle. Manche mehr, manche weniger. In der deutschen Sportpolitik scheint die Lust aufs kommende Desaster dennoch ungebrochen.

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