Äthiopische Mediziner streiken
Von Gerrit Hoekman
Das staatliche Gesundheitswesen im ostafrikanischen Äthiopien leidet unter akutem Personalmangel. Laut der Monatszeitschrift Addis Standard stehen 20.000 Einwohnerinnen und Einwohnern nur drei Ärzte zur Verfügung. Besonders die arme Bevölkerung in den ländlichen Gebieten ist davon betroffen. Im Mai begannen die Beschäftigten in den medizinischen Berufen mit einem Streik für höheren Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Die Politik versprach, sich um das Problem zu kümmern, aber bis jetzt ist wenig passiert.
Wer im äthiopischen Gesundheitswesen arbeitet, verdient häufig nicht mehr als 60 US-Dollar im Monat, umgerechnet etwas mehr als 50 Euro. Das reicht für nicht viel mehr als die Miete. »Ich zahle 35 Dollar Miete, esse zweimal am Tag und führe ein elendes Leben«, sagte eine medizinische Fachkraft am 28. Juni gegenüber dem Magazin Africa Live. »Ich war ein sehr guter Schüler und bin mit großen Hoffnungen in den Beruf gestartet. Heute verdiene ich 57 US-Dollar im Monat«, klagt ein anderer. »Ich habe Kinder zu versorgen und esse nur einmal täglich. Das ist das Leben eines Vergessenen.«
Viele denken deshalb ans Auswandern. Im Nachbarland Kenia etwa sollen Berufseinsteiger laut Africa Live über 1.500 US-Dollar im Monat verdienen – mehr als das Zwanzigfache. »Dies ist kein gewöhnlicher Streik mehr – es ist ein öffentlicher Notstand«, zitiert Africa Live einen Gewerkschaftsvertreter. Ihre Namen behalten Kritiker lieber für sich, denn die Regierung von Premierminister Abiy Ahmed reagiert mit Repression. Mehrere Dutzend Ärzte und Pflegekräfte sollen bisher vorübergehend verhaftet worden sein. »Dies ist ein Angriff auf die grundlegenden Freiheiten der Meinungsäußerung (…), auf die jeder äthiopische Bürger Anspruch hat«, erklärte der Berufsverband Ethiopian Health Professional Movement (EHPM) am 20. Juni.
Am 25. Juni wurde Daniel Fentaneh festgenommen, ein Facharzt für Geburtshilfe am Universitätskrankenhaus in Bahir Dar, der ebenfalls in der EHPM aktiv ist. Der Arzt habe den Streik über die sozialen Medien »angestiftet, organisiert und dafür mobilisiert« und dadurch zum »Verlust von Menschenleben« beigetragen, zitierte Addis Standard am 28. Juni die Polizei. Am 3. Juli verlängerte das Gericht die Untersuchungshaft um weitere fünf Tage. Ob sich Fentaneh wieder auf freiem Fuß befindet, ist unbekannt. Seine Kollegin Mahlet Guush verblieb drei Wochen in der Haft, bevor sie am 12. Juni gegen Kaution freigelassen wurde.
Vom 25. bis 28. Juni trafen sich Vertreterinnen und Vertreter aus dem medizinischen Bereich mit Gesundheitsministerin Mekdes Daba. Die Forderungen der Streikenden sind nicht ohne: Ein Einstiegsgehalt von 1.000 US-Dollar im Monat, faire Arbeitszeiten und eine Überstundenvergütung, wie sie die WHO vorsieht, höhere Zulagen für Miete und Fahrtkosten sowie eine kostenlose medizinische Versorgung auch für Familienangehörige sind nur einige der wichtigsten. Auch ein verbesserter Rechtsschutz gegen Missbrauch und Einschüchterung am Arbeitsplatz gehört dazu. Die Ministerin habe versprochen, innerhalb kürzester Zeit entsprechende Richtlinien und Verordnungen zu erlassen, sagte eine Teilnehmerin gegenüber der Onlineausgabe des politischen Monatsmagazins Addis Standard.
Nach den jüngsten Äußerungen des Premierministers ist der Optimismus allerdings einer gehörigen Portion Skepsis gewichen. Es gebe Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit, erklärte eine Gesundheitsfachkraft gegenüber Addis Standard –sicherheitshalber wieder anonym. So versicherte der Premierminister zwar, die Klagen des medizinischen Personals ernstzunehmen: Es sei keine Frage, »ob die Angestellten betroffen sind; sie sind betroffen«. Es gebe allerdings Leute, die versuchen würden, aus den »angemessenen Forderungen Kapital zu schlagen«. Der Streik sei von »Politikern in weißen Kitteln« übernommen worden, die »den weißen Kittel in ein politisches Instrument verwandeln«, zitierte ihn Addis Standard am 8. Juli.
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