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Aus: Ausgabe vom 10.07.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Chile

Kommunistin soll führen

Chile: Die Präsidentschaft von Gabriel Boric endet. Das linke Wahlbündnis Unidad por Chile tritt mit einer Kandidatin vom PCCh zu den Wahlen im November an
Von Carmela Negrete
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Kandidatin mit Aussicht: Jeannette Jara vom PCCh (bei einer Rede am 6. Juli in Santiago)

Das Ende der Regierungszeit von Gabriel Boric ist besiegelt. Zu den Präsidentschaftswahlen im kommenden November wird die Kommunistin Jeannette Jara als Kandidatin der linken Wahlkoalition Unidad por Chile (Einheit für Chile) antreten. Das Bündnis setzt sich zusammen aus der Kommunistischen Partei, der Sozialistischen Partei, der Partei für Demokratie, dem Frente Amplio und der Federación Regionalista Verde Social. Hinzugekommen sind dieses Mal außerdem die Acción Humanista, die Izquierda Cristiana sowie andere Kräfte des Humanismus und des demokratischen Sozialismus.

Der Weg in den Präsidentenpalast ist allerdings noch weit und setzt den Sieg gegen die extreme Rechte voraus. Doch laut aktuellen Umfragen hat Jara gute Chancen, die erste kommunistische Präsidentin zu werden. Demo­skopen sehen sie bei rund 33 Prozent der Stimmen gegenüber Antonio Kast, dem Hauptkonkurrenten aus dem rechten Lager, der auf etwa 21 Prozent kommt. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil Befragungen dieser Institute die Quote der Ablehnung der Regierung Boric im vergangenen Jahr auf 59 bis 66 Prozent bezifferten. Allerdings sahen damit immerhin noch 30 Prozent der Befragten in ihm die beste Option für das Amt des Präsidenten. Man dürfte allerdings kaum fehlgehen, wenn dieser verbliebene Zuspruch auf die Arbeit der früheren Ministerin Jara zurückzuführen ist. Bis April 2025 verantwortlich für das Ressort Arbeit und Soziales, hatte sie eine Rentenreform erarbeitet, die im März verabschiedet wurde und die endlich allen Chilenen eine Altersrente garantieren soll. Es bleibt gleichwohl die Unzufriedenheit mit der Regierung Boric, insbesondere unter linken Wählern, die sich mehr von ihm erwartet hatten.

Fünfzehn Millionen Menschen sind in Chile wahlberechtigt und werden entscheiden, ob die amtierende Regierungskoalition das Land weiter führen soll oder ob erneut die Rechte übernimmt. Die scheint momentan zersplittert und hat vermutlich aus diesem Grund keine Vorwahlen abgehalten. Die Linke dagegen führte die Befragung am 29. Juni mit einem eindeutigen Ergebnis durch: Jeannette Jara von der Kommunistischen Partei Chiles setzte sich klar durch. An der Vorabstimmung nahmen mehr als 1.400.000 Wähler teil, Jara gewann mit rund 60 Prozent der Stimmen, etwa 825.000 Menschen wählten sie. Zweite wurde die sozialdemokratische Kandidatin Carolina Tohá, die etwas mehr als 28 Prozent der Stimmen erhielt, gefolgt von Gonzalo Vinter vom Frente Amplio mit neun Prozent. Auf dem letzten Platz landete Yamil Mulet von den regionalistischen Grünen mit 2,7 Prozent.

Im Lager der Rechten bedeutet der Verzicht auf die Vorwahlen, dass die Hauptfiguren José Antonio Kast, Evelyn Matthei und Axel Kaiser in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen gegeneinander antreten werden. Wie bei Rechten in aller Welt üblich, spricht auch die chilenische im Wahlkampf nicht über reale Probleme der Bevölkerung, nicht über Ungleichheit und also Armut, sondern schürt ­Ängste, befeuert Rassismus und verspricht bewachte Grenzen, Militarisierung und Repression.

Mag nun sein, dass Jeannette Jara derzeit gute Chancen hat, die nächste Präsidentin Chiles zu werden. Gewiss ist das allerdings nicht, bereits jetzt starten Versuche, sie beziehungsweise ihre Mitstreiter zu diskreditieren. Das hat Vorbilder: Gegen den letzten Kandidaten ihrer Partei, den Architekten und Soziologen Daniel Jadue, der Apotheken für Arme gegründet hatte, wurde der Vorwurf der Korruption erhoben, gegen ihn prozessiert und Hausarrest erteilt – vermutlich einzig, weil die Pharmaindustrie Verluste erlitt.

In einem Interview mit dem linken Sender Canal Red erklärte Jadue am 27. Juni, dass sich die Rechte in seinem Land neu habe organisieren können; »nicht weil sie eine soziale Mehrheit hat, sondern weil diejenigen, die an die Macht gekommen sind, vergessen haben, dass sie angetreten waren, um die Dinge zu verändern«. Das ist eine klare Kritik am jetzigen Präsidenten Boric. Dessen politisches Handeln habe das Land in eine tiefe politische Krise hineinmanövriert, da der versprochene demokratische Wandel nicht stattfand und die Regierung sich von den Wirtschaftsmächten habe vereinnahmen lassen.

Hintergrund: Gesetzlich geregelte Vorwahlen in Chile

Die Präsidentschaftsvorwahlen in Chile sind gesetzlich geregelt. Das entsprechende Gesetz erlaubt es Parteien oder Koalitionen, Kandidaten zu registrieren, um durch freiwillige Stimmabgabe einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten zu bestimmen. Der Prozess unterliegt einer Reihe von Vorschriften, die seine Transparenz gewährleisten – von Wahlveranstaltungen, der Wahlwerbung und Umfragen bis hin zur offiziellen Stimmenauszählung. Die »Primarias legales«, offizielle Vorwahlen, sind seit 2012 geregelt und finden 20 Wochen vor der eigentlichen Präsidentschaftswahl statt.

Die Parteien können ihre Kandidaten wählen oder eine offene Liste aufstellen. Besonders interessant für die Linke ist die Transparenz des Prozesses: Es gibt kostenfreie Zeit im Fernsehen für Wahlwerbung, die in den Tagen der Vorwahlen gleichmäßig verteilt wird. Diese Gleichbehandlung in den Medien ist einer der Gründe, die damals für die Einführung dieses demokratischen Prozesses angegeben wurden.

Bündnisse oder Parteien entscheiden über die Modalitäten der Durchführung: Entweder dürfen nur die Mitglieder einer Partei wählen beziehungsweise nur die Mitglieder der Parteien eines Wahlbündnisses oder eben alle Wahlberechtigten.

Es gibt weltweit nur wenige Länder, die eine solche gesetzliche Vorwahl durchführen. Die USA haben verpflichtende Vorwahlen auf Bundesstaatsebene, sowohl für Präsidentschafts- als auch Kongresswahlen. In Uruguay besteht ein ähnliches System seit 1997. In anderen Ländern gibt es zwar auch Vorwahlen, aber die werden meist nur intern in den jeweiligen Parteien geregelt. In Deutschland wurden Mitgliederbefragungen oder Urwahlen, etwa zur Kanzlerkandidatur, organisiert, aber ohne gesetzliche Grundlage. (cn)

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