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Aus: Ausgabe vom 09.07.2025, Seite 15 / Antifaschismus
Jüdische Gemeinden in Wien

Brüchig und zugewachsen

Wien: Seltene Führung über jüdischen Friedhof in Floridsdorf erinnert an ausgelöschte Gemeinde
Von Barbara Eder, Wien
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Jüdischer Friedhof Floridsdorf

Der Boden gibt nach, ein Grabstein wackelt. Gras wuchert über aufgelassenen Gruften. Wer diesen Ort betritt, muss aufpassen, wohin er tritt. Der jüdische Friedhof in Wien-Floridsdorf liegt hinter grobmaschigem Drahtgitter nahe der Weinenden Brücke – einem Teil der Hochbahn, welcher die südliche Seite des Areals begrenzt. Am vergangenen Donnerstag abend stand das Gartentor in der Ruthnergasse 26 offen – auf Initiative der Volkshochschule Floridsdorf, die einen Besuch möglich gemacht hatte.

Wer diesen unscheinbaren Ort findet, hat bewusst danach gesucht. Der 1876 von der – wenige Jahre später erst offiziell gegründeten – Israelitischen Cultusgemeinde Floridsdorf errichtete Friedhof mit rund 1.400 Grabplätzen wurde 1978 geschlossen, begraben wird heute nur noch mit Sondergenehmigung. Hier liegen Ärzte, Arbeiterinnen, Hausierer, Trödler und Menschen wie Ignaz Wodicka, der am Floridsdorfer Spitz ein Kaufhaus eröffnete. Den Grabstein des Rennfahrers Hans Grünwald, 1927 im Alter von 22 Jahren tödlich verunglückte, ziert ein ungewöhnliches Symbol: ein stilisiertes Motorrad inmitten eines Lorbeerkranzes, darunter die Inschrift »Ein Meister des Kraftfahrsports – starb er als Opfer seines kühnen Strebens.«

Der Historiker Gerhard Jordan führte durch die letzte Ruhestätte der Mitglieder einer ausgelöschten Gemeinde. Sie war keine besonders traditionsbewusste, aber eine tatkräftige. Viele kamen aus Südmähren und Oberungarn, gründeten erste Minjan-Vereine, errichteten eine Synagoge in der Holzmeistergasse – zerstört nicht erst in der Pogromnacht, sondern schon zuvor enteignet und später zerbombt. Geblieben ist nur der Friedhof, halb verfallen und schwer zugänglich. Zwischen brüchigen Grabanlagen und zugewachsenen Wegen liegen hier viele Wienerinnen und Wiener.

Der Kabarettist Fritz Heller ist einer von ihnen. 1893 in Floridsdorf geboren, wurde der gelernte Kaufmann zum Komödianten auf Wiener Bühnen. 1938 verhaftet und ins KZ Dachau deportiert, kaufte seine Frau ihn für 900 Reichsmark frei – um gemeinsam ins Exil nach Shanghai zu emigrieren. 1947 kamen Fritz und Jaroslawa Heller nach Wien zurück und wollten, erwerbslos und ohne Existenzmöglichkeiten, anfangs noch in die USA auswandern. Heller spielte bis ins hohe Alter Nebenrollen am Kabarett Simpl. Er starb 1966.

Auf dem Floridsdorfer Areal spricht nichts von Versöhnung. Der 2012 in Wien gestorbene Erich Sinai war 1917 in Floridsdorf geboren und zunächst als Schneider tätig. Er spielte Handball beim jüdischen Sportverein Hakoah. Vereine wie dieser boten nach Kriegsende für Rückkehrer, deren Familien von den Faschisten in der Schoah ermordert worden waren, nicht selten die einzige Möglichkeit, wieder eine Gemeinschaft aufzubauen. Sinai musste 1938 nach Riga emigrieren und schließlich weiter nach Sibirien und Kasachstan fliehen.

Erst 1947 kam er zurück nach Österreich. Nachdem er in einer Fabrik unter Verwaltung der sowjetischen Besatzungsmacht arbeitete, die Militärkleidung herstellte, gelang es ihm, die »arisierte« Textilfirma eines in die USA emigrierten Onkels weiterzuführen. Dadurch dürfte er über die nötigen Mittel verfügt haben, um in Floridsdorf mit ersten Sanierungsarbeiten beginnen zu können.

Dass der jüdische Friedhof nicht in Vergessenheit geriet, ist einer Schulklasse des Gymnasiums Ödenburgerstraße im 21. Wiener Bezirk zu verdanken. Im Rahmen eines Schulprojekts dokumentierten ab Ende der 1990er Jahre die jungen Leute Gräber, recherchierten Biografien, suchten Angehörige und Überlebende. Selten gibt es Führungen, in einer Broschüre des Bezirksmuseums wird der Friedhof erwähnt. Der Abendin Floridsdorf endete mit Blick auf die neue Aufbahrungshalle von 1952. Die alte wurde durch eine Bombe zerstört, die neue bleibt – als profanes Monument hinter Maschendraht.

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