Lachgasnebel
Von Reinhard Lauterbach
Man kennt das noch aus dem Syrien-Krieg vor zehn Jahren: Giftgasvorwürfe aus der Ferne. Erhoben von irgendwelchen Leuten in London, weit ab vom Schuss. Medial unschlagbar wegen des hohen Entrüstungspotentials, das solche Waffen in sich bergen. Noch ein Vorteil für den, der sie erhebt: Sie sind ihrer Natur nach schwer zu beweisen. Denn das corpus delicti, das Gas, ist längst verschwunden, wenn irgend jemand versuchen sollte, Beweise zu finden und zu prüfen. Sie sollen ohne Beweise geglaubt werden, das ist ihr Zweck: Man nennt das Propaganda.
Es ist unstrittig, dass Giftgas auf einer Skala der ekligsten Waffensysteme ziemlich weit oben stehen würde. Gleich hinter biologischen Waffen vielleicht. Und aus denselben Gründen sind sowohl chemische als auch biologische Kampfstoffe aus den Arsenalen der sich kriegstüchtig machenden Staaten zwar nie ganz verschwunden, aber doch selten angewandt worden. Denn der Wind bläst, wie er will, und die Gefahr, dass etwas von den heimtückischen Substanzen auf die eigene Seite herüberweht, schien selbst den professionellen Kriegführern nach dem Ersten Weltkrieg zu groß, um weiterhin auf den Einsatz dieser Mittel zu bestehen.
Hinzu kommt: Schilderungen des tatsächlichen Kriegsverlaufs aus der Ukraine besagen, dass der unmittelbare Nahkampf wieder an Gewicht gewonnen habe. Damit wäre aber auch das Risiko für die angreifende Seite, eigene Truppen durch Rückstände des Kampfgases zu gefährden, mitgewachsen. Denn Chlorpikrin, um das es geht, ist schwerer als Luft und kann sich also gerade in schlecht belüfteten unterirdischen Bunkersystemen anreichern. Selbst wenn es also Russland mit Hilfe des Gases gelingen sollte, ukrainische Soldaten aus ihren Unterständen zu verdrängen und sie im offenen Gelände aus Drohnen zu beschießen, wäre der anschließende Vormarsch der eigenen Truppen und die Sicherung des eroberten Geländes erschwert. Ob so etwas also militärisch klug wäre?
Das soll man lieber nicht fragen. Denn entscheidend ist die moralische Komponente der neuen »Enthüllungen«. Dass jede Kriegspartei, der der Einsatz von Giftgas vorgeworfen wird, dies entrüstet von sich weisen wird, ist klar. Beweiskräftig ist das genauso wenig, wie umgekehrt der Vorwurf dadurch bewiesen ist, dass er erhoben wird. Es kürzt sich zusammen auf die Frage, wem das Publikum glaubt. Doch bitte der »eigenen Seite«, oder? Ansonsten reduziert sich der Inhalt der Kritik darauf, dass Russland unterstellt wird, seine militärischen Erfolge – die die westliche Seite als solche nicht mehr wegdiskutieren kann – mit »unfairen Mitteln« erzielt zu haben. Als gäbe es im Krieg faire. Diese komplett idealistische Vorstellung soll man aber im Hinterkopf behalten. Sie ist sozusagen der mediale Lachgasnebel, dem das Publikum ausgesetzt wird. Die kleinen schwarzen Ballons sind gerade als Partydroge verboten worden. Die großen bleiben im Einsatz.
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