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Aus: Ausgabe vom 05.07.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Ukraine

Totale Militarisierung

Die »Asow«-Bewegung kolonisiert die ukrainische Gesellschaft mit neonazistischer Kriegsideologie
Von Susann Witt-Stahl
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Selbsternannte Kriegerelite und Leitstern der Nation: »Asow«-Freiwillige beim Aufnahmetest (Kiew, 14.8.2015)

Die »Asow«-Führung agiert seit Jahren als Avantgarde der faschistischen Neuordnung der Ukraine. Sie will Staat und Nation zu einer »organischen Einheit« formen. An der Spitze der Bewegung zur Durchsetzung ihrer »nationalen Idee« als Staatsräson steht die 3. Separate »Asow«-Sturmbrigade der Armee, die gegenwärtig zum Korps ausgebaut wird. Olexij »Konsul« Reins, Leiter ihres Zentrums für ideologische Schulung und ihres Rainshouse-Verlags, propagiert den Krieg als Ausdruck eines »natürlichen Bedürfnisses nach Expansion« mit dem Ziel der Errichtung einer »Großukraine« unter der Herrschaft des Militärs. Folglich feiert er das faschistische Massaker vom 2. Mai 2014 im Gewerkschaftshaus von Odessa mit »verbrannten Watniks« als »Tag der Reinigung«.

Rainshouse publiziert Schriften von Mikola Krawtschenko, dem im März 2022 durch russischen Beschuss ums Leben gekommenen »Asow«-Philosophen und einstigen Mitgründer ihrer paramilitärischen Basisorganisation »Patriot der Ukraine« sowie ihres heutigen ideologischen Rückgrats »Centuria«, ein Jugend- und Kampfverband. Ebenso »Ostfront«- und Veteranenlyrik über den »Willen zum Sieg« bei der »Maidan«-Revolte 2013/14 und der nachfolgenden »Antiterroroperation« gegen die aufständische Bevölkerung im Donbass, auch Comics mit Kriegsheldengeschichten. Vor allem werden Schlüsseltexte von Führern der faschistischen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) neu aufgelegt – etwa von Stepan Bandera und dessen Nachfolger Jaroslaw Stezko sowie Dmitro Donzow, Übersetzer von »Mein Kampf«, der den Hitler-Staat als Modell für eine unabhängige Ukraine und integralen Nationalismus als Lebensweise begriffen hatte.

Nach diesem Vorbild betrachtet sich »Asow«, ähnlich wie die SS im »Dritten Reich«, nicht nur als Kriegerelite und Speerspitze des ukrainischen Imperialismus, sondern auch als ideologischer, politischer und kultureller Leitstern der Nation.

»AB3« – das Kürzel der 3. Sturmbrigade – und die »Asow«-Wolfsangel prangen heute auf Tausenden Produkten: Bekleidung, Haushaltswaren, Spielzeug, Lebensmittel etc. Die Einheit gibt eine eigene Briefmarkenedition mit Frontkämpferporträts heraus. Neuerdings geht das sozialdarwinistische Nazilebensprinzip auch durch den Magen: In Kiew hat sie unter dem Slogan »Der Stärkste wird überleben« einen »postapokalyptischen AB3-Army-Foodspot« eröffnet, der Döner, Hamburger und Wraps anbietet. »Asow« hat sich längst zu einer Topsellermarke gemausert. Sie unterhält einen Kulturindustriekomplex mit eigenen Medien, PR-Agenturen, Mode- und Musiklabels, Filmproduktionsfirmen, die beispielsweise Battle-Action-Videos produzieren. »Asow« organisiert auch Militärfeste, inklusive HipHop-, Techno- und Rock-Konzerten mit populären Bands wie Hatespeech oder PVNCH, die als Megafone des ukrainischen Nationalismus fungieren. Seit 2024 ist »AB3« mit einer eigenen Theaterperformance auf Tournee. In dem Ein-Mann-Stück »Ненароджені для війни« (Nicht für den Krieg geboren) mit einem echten »Asow«-Krieger als Darsteller geht es um wahre Waffenbrüderschaft, Einsamkeit und Gefahren in den Schützengräben.

Während deutsche und andere westliche Politiker, Medien und Denkfabriken weiterhin die Lüge von der »Depolitisierung« der »Asow«-Truppen ventilieren, treiben diese die totale Militarisierung der ukrainischen Gesellschaft unter Hochdruck voran. Heute dürfte bereits ein Großteil der Jugendlichen das »Gebet eines Nationalisten« mit der Lobpreisung der faschistischen Ahnen und den Dekalog der OUN (»Räche dich für den Tod der großen Ritter«) aufsagen können – für »Asow« die heiligen »Symbole für Kampf, Glauben und Ehre«. Zur Vorbereitung des Eintritts in die Reihen ihrer Krieger sorgt »Centuria« für die Stählung von Geist und Körper mit Weltanschauungsschulungen und professionellem Wehrsporttraining. Kinder werden bereits seit zehn Jahren in Feriencamps zu »Asowets« gedrillt, an Kalaschnikows und anderen Waffen ausgebildet. Die 3. Sturmbrigade gibt jetzt auch eine Märchenbuchreihe heraus, die den Kleinen die »Realität des Krieges« beibringen und »Illusionen über den historischen Hauptfeind« austreiben soll. Russenhass ist eine Säule der mit den Heldenabenteuergeschichten angestrebten »Erziehung eines Kinderführers, Führers, Führer des Landes«. Der erste Band »Jurchik – der Schlangentöter« ist bereits im »AB3«-Shop erhältlich.

Dass Präsident Wolodimir Selenskij die Asowisierung der Ukraine unterstützt, zeigt allein schon die Ernennung von Olexander Alforow, Exoffizier der 3. Sturmbrigade, Bewunderer von Adolf Hitler und Experte für »Entrussifizierung«, zum Präsidenten des Ukrainischen Instituts für Nationale Erinnerung – ein phänomenaler Triumph für die Neonazibewegung, die damit nahezu vollständige Hoheit über die Geschichtsnarrative erlangt haben dürfte. Das könnte auch die offizielle Rehabilitierung der Kollaborateure Nazideutschlands beim Holocaust und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion bedeuten, etwa der SS-Division »Galizien«, die bis heute von der »Asow«-Führung »kompromisslos« als »diejenigen« glorifiziert wird, die »für eine ukrainische Ukraine zu den Waffen griffen«.

Es gibt praktisch keine »Asow«-freien Räume mehr in der ukrainischen Gesellschaft. Im Juni präsentierte »Konsul«, der als Nachfolger von Krawtschenko gilt, voller Stolz ein Video aus seiner »rechtsextremen Stadt« Kiew von einem Metrozug, gestaltet im martialischen »Asow«-Design. »Die universelle Durchdringung unserer Ästhetik erfreut das Auge. Die Ukrainer gewöhnen sich allmählich daran, dass es den ukrainischen Nationalisten um Stil, Stärke, Heldentum geht«, lässt »Konsul« keine Missverständnisse über die Machtverhältnisse aufkommen. »Sie gewöhnen sich daran, dass dieses Land unser Land ist.«

Hintergrund: Vorbild Waffen-SS

Die »Asow«-Bewegung orientiert sich bis heute an der Ästhetik, Symbolik und Namensgebung des »Dritten Reichs«. Bereits in Truppenkennzeichen ihres ersten Kampfverbands, eines Bataillons, das am 5. Mai 2014 in Mariupol gegründet worden, vier Monate später zum Regiment erweitert und in die Nationalgarde eingegliedert worden war, finden sich die »Schwarze Sonne« und die Wolfsangel der Waffen-SS. Vor allem letzteres Symbol wird heute meist in abstrahierter Form weiter für Embleme von »Asow«-Truppen verwendet, beispielsweise vom 1. Korps der Nationalgarde, das seit April 2025 besteht.

Der 1. Zug des 2. Bataillons der 3. Separaten Sturmbrigade von »Asow« in der ukrainischen Armee ist nach der SS-Grenadierdivision »Galizien« benannt und hat von dieser auch in leichter Abwandlung das Abzeichen mit dem ruthenischen Löwen übernommen. Die 1943 gebildete Einheit rekrutierte sich vorwiegend aus ukrainischen Freiwilligen, wurde für die Partisanenbekämpfung eingesetzt und verübte Massaker an polnischen Zivilisten. Das Wappen der 3. Kompanie desselben »Asow«-Bataillons ist nach dem Verbandskennzeichen des von Heinrich Himmler aufgestellten SS-Sonderkommandos »Dirlewanger« mit gekreuzten Stabhandgranaten gestaltet. Diese Truppe hat in Belarus Menschen lebendig in ihren Häusern verbrannt, Massenvergewaltigungen und andere schwere Kriegsverbrechen begangen. Andere Einheiten der »Asow«-Brigade tragen Namen wie »Wolfrudel« und »Stahlwolf«.

Das Emblem der »Asow«-Infanterieeinheit »Kraken« des ukrainischen Militärgeheimdienstes enthält die Kampfrune, die von den Reichsführerschulen und der SS-Grenadierdivision »30. Januar« verwendet wurde. Das Motto der mittlerweile einer Marinebrigade angehörenden »Wedmedi SS«-»Asow«-Einheit lautet »Meine Ehre heißt Treue«. Einige »Asow«-Krieger tragen Totenkopfpatches mit dem Kennzeichen der Panzerdivision »Leibstandarte SS Adolf Hitler«. (sws)

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