Totale Militarisierung
Von Susann Witt-Stahl
Die »Asow«-Führung agiert seit Jahren als Avantgarde der faschistischen Neuordnung der Ukraine. Sie will Staat und Nation zu einer »organischen Einheit« formen. An der Spitze der Bewegung zur Durchsetzung ihrer »nationalen Idee« als Staatsräson steht die 3. Separate »Asow«-Sturmbrigade der Armee, die gegenwärtig zum Korps ausgebaut wird. Olexij »Konsul« Reins, Leiter ihres Zentrums für ideologische Schulung und ihres Rainshouse-Verlags, propagiert den Krieg als Ausdruck eines »natürlichen Bedürfnisses nach Expansion« mit dem Ziel der Errichtung einer »Großukraine« unter der Herrschaft des Militärs. Folglich feiert er das faschistische Massaker vom 2. Mai 2014 im Gewerkschaftshaus von Odessa mit »verbrannten Watniks« als »Tag der Reinigung«.
Rainshouse publiziert Schriften von Mikola Krawtschenko, dem im März 2022 durch russischen Beschuss ums Leben gekommenen »Asow«-Philosophen und einstigen Mitgründer ihrer paramilitärischen Basisorganisation »Patriot der Ukraine« sowie ihres heutigen ideologischen Rückgrats »Centuria«, ein Jugend- und Kampfverband. Ebenso »Ostfront«- und Veteranenlyrik über den »Willen zum Sieg« bei der »Maidan«-Revolte 2013/14 und der nachfolgenden »Antiterroroperation« gegen die aufständische Bevölkerung im Donbass, auch Comics mit Kriegsheldengeschichten. Vor allem werden Schlüsseltexte von Führern der faschistischen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) neu aufgelegt – etwa von Stepan Bandera und dessen Nachfolger Jaroslaw Stezko sowie Dmitro Donzow, Übersetzer von »Mein Kampf«, der den Hitler-Staat als Modell für eine unabhängige Ukraine und integralen Nationalismus als Lebensweise begriffen hatte.
Nach diesem Vorbild betrachtet sich »Asow«, ähnlich wie die SS im »Dritten Reich«, nicht nur als Kriegerelite und Speerspitze des ukrainischen Imperialismus, sondern auch als ideologischer, politischer und kultureller Leitstern der Nation.
»AB3« – das Kürzel der 3. Sturmbrigade – und die »Asow«-Wolfsangel prangen heute auf Tausenden Produkten: Bekleidung, Haushaltswaren, Spielzeug, Lebensmittel etc. Die Einheit gibt eine eigene Briefmarkenedition mit Frontkämpferporträts heraus. Neuerdings geht das sozialdarwinistische Nazilebensprinzip auch durch den Magen: In Kiew hat sie unter dem Slogan »Der Stärkste wird überleben« einen »postapokalyptischen AB3-Army-Foodspot« eröffnet, der Döner, Hamburger und Wraps anbietet. »Asow« hat sich längst zu einer Topsellermarke gemausert. Sie unterhält einen Kulturindustriekomplex mit eigenen Medien, PR-Agenturen, Mode- und Musiklabels, Filmproduktionsfirmen, die beispielsweise Battle-Action-Videos produzieren. »Asow« organisiert auch Militärfeste, inklusive HipHop-, Techno- und Rock-Konzerten mit populären Bands wie Hatespeech oder PVNCH, die als Megafone des ukrainischen Nationalismus fungieren. Seit 2024 ist »AB3« mit einer eigenen Theaterperformance auf Tournee. In dem Ein-Mann-Stück »Ненароджені для війни« (Nicht für den Krieg geboren) mit einem echten »Asow«-Krieger als Darsteller geht es um wahre Waffenbrüderschaft, Einsamkeit und Gefahren in den Schützengräben.
Während deutsche und andere westliche Politiker, Medien und Denkfabriken weiterhin die Lüge von der »Depolitisierung« der »Asow«-Truppen ventilieren, treiben diese die totale Militarisierung der ukrainischen Gesellschaft unter Hochdruck voran. Heute dürfte bereits ein Großteil der Jugendlichen das »Gebet eines Nationalisten« mit der Lobpreisung der faschistischen Ahnen und den Dekalog der OUN (»Räche dich für den Tod der großen Ritter«) aufsagen können – für »Asow« die heiligen »Symbole für Kampf, Glauben und Ehre«. Zur Vorbereitung des Eintritts in die Reihen ihrer Krieger sorgt »Centuria« für die Stählung von Geist und Körper mit Weltanschauungsschulungen und professionellem Wehrsporttraining. Kinder werden bereits seit zehn Jahren in Feriencamps zu »Asowets« gedrillt, an Kalaschnikows und anderen Waffen ausgebildet. Die 3. Sturmbrigade gibt jetzt auch eine Märchenbuchreihe heraus, die den Kleinen die »Realität des Krieges« beibringen und »Illusionen über den historischen Hauptfeind« austreiben soll. Russenhass ist eine Säule der mit den Heldenabenteuergeschichten angestrebten »Erziehung eines Kinderführers, Führers, Führer des Landes«. Der erste Band »Jurchik – der Schlangentöter« ist bereits im »AB3«-Shop erhältlich.
Dass Präsident Wolodimir Selenskij die Asowisierung der Ukraine unterstützt, zeigt allein schon die Ernennung von Olexander Alforow, Exoffizier der 3. Sturmbrigade, Bewunderer von Adolf Hitler und Experte für »Entrussifizierung«, zum Präsidenten des Ukrainischen Instituts für Nationale Erinnerung – ein phänomenaler Triumph für die Neonazibewegung, die damit nahezu vollständige Hoheit über die Geschichtsnarrative erlangt haben dürfte. Das könnte auch die offizielle Rehabilitierung der Kollaborateure Nazideutschlands beim Holocaust und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion bedeuten, etwa der SS-Division »Galizien«, die bis heute von der »Asow«-Führung »kompromisslos« als »diejenigen« glorifiziert wird, die »für eine ukrainische Ukraine zu den Waffen griffen«.
Es gibt praktisch keine »Asow«-freien Räume mehr in der ukrainischen Gesellschaft. Im Juni präsentierte »Konsul«, der als Nachfolger von Krawtschenko gilt, voller Stolz ein Video aus seiner »rechtsextremen Stadt« Kiew von einem Metrozug, gestaltet im martialischen »Asow«-Design. »Die universelle Durchdringung unserer Ästhetik erfreut das Auge. Die Ukrainer gewöhnen sich allmählich daran, dass es den ukrainischen Nationalisten um Stil, Stärke, Heldentum geht«, lässt »Konsul« keine Missverständnisse über die Machtverhältnisse aufkommen. »Sie gewöhnen sich daran, dass dieses Land unser Land ist.«
Hintergrund: Vorbild Waffen-SS
Die »Asow«-Bewegung orientiert sich bis heute an der Ästhetik, Symbolik und Namensgebung des »Dritten Reichs«. Bereits in Truppenkennzeichen ihres ersten Kampfverbands, eines Bataillons, das am 5. Mai 2014 in Mariupol gegründet worden, vier Monate später zum Regiment erweitert und in die Nationalgarde eingegliedert worden war, finden sich die »Schwarze Sonne« und die Wolfsangel der Waffen-SS. Vor allem letzteres Symbol wird heute meist in abstrahierter Form weiter für Embleme von »Asow«-Truppen verwendet, beispielsweise vom 1. Korps der Nationalgarde, das seit April 2025 besteht.
Der 1. Zug des 2. Bataillons der 3. Separaten Sturmbrigade von »Asow« in der ukrainischen Armee ist nach der SS-Grenadierdivision »Galizien« benannt und hat von dieser auch in leichter Abwandlung das Abzeichen mit dem ruthenischen Löwen übernommen. Die 1943 gebildete Einheit rekrutierte sich vorwiegend aus ukrainischen Freiwilligen, wurde für die Partisanenbekämpfung eingesetzt und verübte Massaker an polnischen Zivilisten. Das Wappen der 3. Kompanie desselben »Asow«-Bataillons ist nach dem Verbandskennzeichen des von Heinrich Himmler aufgestellten SS-Sonderkommandos »Dirlewanger« mit gekreuzten Stabhandgranaten gestaltet. Diese Truppe hat in Belarus Menschen lebendig in ihren Häusern verbrannt, Massenvergewaltigungen und andere schwere Kriegsverbrechen begangen. Andere Einheiten der »Asow«-Brigade tragen Namen wie »Wolfrudel« und »Stahlwolf«.
Das Emblem der »Asow«-Infanterieeinheit »Kraken« des ukrainischen Militärgeheimdienstes enthält die Kampfrune, die von den Reichsführerschulen und der SS-Grenadierdivision »30. Januar« verwendet wurde. Das Motto der mittlerweile einer Marinebrigade angehörenden »Wedmedi SS«-»Asow«-Einheit lautet »Meine Ehre heißt Treue«. Einige »Asow«-Krieger tragen Totenkopfpatches mit dem Kennzeichen der Panzerdivision »Leibstandarte SS Adolf Hitler«. (sws)
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Leserbrief von Martin Mair aus Söchau (5. Juli 2025 um 21:40 Uhr)Mit dem Satz »Es gibt praktisch keine »Asow«-freien Räume mehr in der ukrainischen Gesellschaft« unterstützt die Autorin doch selbst die Propaganda der Neonazis, die genau davon träumen. Der schon fast tagtägliche Widerstand gegen die Zwangsmobilisierung von der Straße weg, der durch zahlreiche Videos belegt ist, beweist das Gegenteil: Die Neonazis haben noch nicht die Hoheit über die ganze Ukraine. Sogar einfache Hausfrauen beteiligen sich am Widerstand und bewerfen schon einmal Beamte der Rekrutierungstrupps mit einem Konfitüre- oder Kompottglas, damit in der Schocksekunde der von den Häschern gefasste kriegsunwillige Ukrainer entfliehen kann. Wer ukrainische Medien liest, wird immer noch genug Zeichen der Kriegsmüdigkeit finden. Gemäß der neuesten Umfrage des Internationalen Meinungsforschungsinstituts ist bereits die Mehrheit der Bevölkerung für Friedensverhandlungen und Kompromisse (wenngleich noch mit geringem Spielraum) und nur eine kleine Minderheit für weiteren Krieg bis zum erhofften Sieg. »Asow« mag deutlichen Zulauf haben, ist aber nach wie vor eine relativ kleine, aber dafür umso lautere Minderheit.
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Leserbrief von Hanna aus Russland. Kemerowo. (8. Juli 2025 um 05:02 Uhr)Hätten Neonazis in der Ukraine keine Souveränität, würden sie von den Sicherheitskräften für Zwangsmobilisierungen und Angriffe, die oft tödlich enden, bestraft. Fakt ist jedoch: Sie haben die absolute Macht. Präsident Selenskyj versucht vor allem, die Aktivisten von »Asow« aus der Gefangenschaft zu befreien. Mit anderen Worten: Diese Politik, die »Asow«-Politik, ist die wichtigste auf staatlicher Ebene. Wie lange wird es dauern, die Gesellschaft zu verändern, das Bewusstsein von Kindern umfassend zu beeinflussen und die Verurteilung von Dissidenten zu fördern? Es wird schnell gehen. Und wenn die Militarisierung, die Neonazis vorantreiben, bereits vom Staat unterstützt wird und »Asow« nicht für Verbrechen gegen die Bevölkerung verantwortlich ist, dann ist die Zeit nicht mehr fern, in der Kinder beginnen werden, ihre Eltern zu verraten, die sich dem Neonazismus widersetzen. Obwohl dies bereits geschieht.
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (7. Juli 2025 um 12:36 Uhr)»›Asow‹ mag deutlichen Zulauf haben, ist aber nach wie vor eine relativ kleine, aber dafür umso lautere Minderheit.« Die paar Millionen NSDAP- und SS-Mitglieder waren auch die absolute Minderheit im »Dritten Reich«. Sie haben die Mitläufer und Jasager vergessen, die freiwilligen Unterstützer, auch all die, welche vor Angst schwiegen. Mit positiveren Zielen waren auch die Bolschewiki in Russland auf die Bevölkerung gerechnet, sehr stark in der Minderheit. Aber große Teile des Volkes übernahmen dann deren Ziele. Minderheiten können einen gesamten Staat in ihre Hand bekommen. »Asow« ist eine solch einflussreiche Minderheit, die sich mit der Verbreitung neonazistischer Ideologie die gesamte Ukraine untertan gemacht hat, das Bildungssystem, die Medien, neonazistische Entscheidungen des Parlaments. Es genügt doch wohl, dass Geburtstage von Faschisten in der Ukraine Staatsfeiertage sind, dass ein Nazi-Anhänger dort 2014 Parlamentspräsident werden konnte wie Göring 1933. Die Neonazis in der Ukraine träumen nicht nur von der Macht. Aber vielleicht will es der Zufall, dass sie diese Macht dann vielleicht 2026, ebenfalls 12 Jahre nach ihrer Machtergreifung, mit Kriegsende und Zusammenbruch der völlig zerrütteten Ukraine abgeben müssen.
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Nazikriegskoloss
vom 05.07.2025