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Aus: Ausgabe vom 03.07.2025, Seite 16 / Sport
Sportpolitik

Eine Lobby im Kanzleramt

Symbolische Gesten sollen das Ehrenamt aufwerten
Von Andreas Müller
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Staatsministerin Christiane Schenderlein neben Basketballveteran Dirk Nowitzki (Bildmitte)

Columbus hat Amerika entdeckt, Konrad Zuse den Computer und die neue Bundesregierung das Ehrenamt. Noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik waren die Ehrenamtlichen mit einer eigenen Staatsministerin im Kanzleramt vertreten. Gesellschaftspolitik gehöre nun mal dorthin. »Das umfasst Kultur, Sport und Ehrenamt«, sagte die frisch bestellte CDU-Staatministerin Christiane Schenderlein am Ende ihres ersten öffentlichen Auftritts in neuer Funktion. Vertreter des organisierten Sports werden sich darüber verwundert die Augen gerieben haben. Meinte man beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) doch zuvor, eine gewünschte Lobbyposition vornehmlich für den Spitzen- und Leistungssport errungen zu haben.

Irrtum. Die Staatsministerin wird bei Kanzler Friedrich Merz (CDU) nicht nur für den Medaillensport ein gutes Wort einlegen, um Schenderleins Aufmerksamkeit muss konkurriert werden. Mit wem genau, war aus ihrem ersten Statement deutlich herauszuhören. An erster Stelle nannte sie die Freiwilligen Feuerwehren, es folgten die Vereine des Musik- und Theaterlebens, des Umwelt- und Naturschutzes, Nachbarschaftsinitiativen und Ehrenamtliche in der Pflege, der Seelsorge und der Betreuung hilfsbedürftiger Menschen.

Erst dann kam sie aufs Sportliche zu sprechen. Genauer: Auf die mehr als 86.000 Klubs, die das »Miteinander über soziale Grenzen hinweg fördern«. Für sie wie alle anderen Vereine gelte ein Versprechen: Die neue Regierung werde eine »aktive Ehrenamtspolitik« betreiben. Sie werde das Ehrenamt unterstützen, fördern und stärken. Allen ehrenamtlich Tätigen, darunter rund acht Millionen allein im Sport, gebühre »die Anerkennung, die sie verdienen«.

Das ist Musik in den Ohren von Jan Holze, Vorstand der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE). Die 2020 gegründete Stiftung hat sich auf die Fahnen geschrieben, Vereine zu unterstützen, damit sie engagiertes Personal gewinnen, bei Bedarf juristisch beraten werden und Fördermittel einwerben können. »Zwar ist dieses neue Amt offiziell ›für Sport und Ehrenamt‹. Ich gehe aber davon aus, dass dieser Name keine Priorisierung bedeutet und beide Seiten gleichrangig behandelt werden«, erklärt Holze gegenüber jW. Dasselbe erwartet er von einem neuen Ausschuss im Bundestag, der sich neuerdings »Ausschuss für Sport und Ehrenamt« nennt, statt wie bislang »Sportausschuss«. Für die noch junge Stiftung mit ihren fast zwei Dutzend Fachbeiräten aus dem gesamten Spektrum ehrenamtlicher Arbeit ein weiteres gutes Omen, nachdem das Ehrenamt bisher im Unterausschuss für »bürgerschaftliches Engagement« parlamentarisch eher ein Dasein im Schatten fristete.

Nicht nur ob der neuen Begrifflichkeiten sieht Holze fürs Ehrenamt eine enorme »Aufwertung« und vor allem »eine Riesenchance«. Die Mitarbeiter der Bundesstiftung hoffen, dass nun endlich Schneisen ins bürokratische Dickicht geschlagen werden, damit Ehrenamtliche nicht länger durch eine Vielzahl schwer verständlicher Auflagen abgeschreckt werden. Laut einer Studie muss jeder Verein durchschnittlich sechseinhalb Stunden pro Woche bzw. 42 Tage pro Jahr zur Erledigung bürokratischer Aufgaben aufbringen. Die Experten fordern zudem, ausreichend Qualifikationsangebote bereitzustellen, damit insbesondere die Vereinsvorstände mit dem juristischen Regelwerk vertraut werden. »Praktisch sind das zwei Seiten derselben Medaille«, weiß Holze. »So wäre dafür gesorgt, dass sich ehrenamtliche Arbeit stärker aufs Eigentliche konzentrieren kann, engagierte Leute an Bord bleiben und Neue hinzukommen.«

Wie sehr dieses Thema zugleich Sportvereine beschäftigt, hat der jüngste Sportentwicklungsbericht (SEB) zutage gefördert. Fehlendes Personal im Ehrenamt bedroht inzwischen fast ein Fünftel der Vereine existentiell, das sind mehr als 17.500. Allein zwischen 2014 und 2019 kam ihnen eine Million ehrenamtliche Helfer abhanden. Die Tendenz hält an. Um so wichtiger ist auch für den »kleinen Sport« die neue Lobby im Kanzleramt. Für den »großen« interessiert sich der neue Regierungschef bislang wenig. Das Sportfördergesetz der Ampelregierung landete in der Schublade. Und noch eine Enttäuschung: Die im Koalitionsvertrag versprochene Milliarde vom Bund zur Sanierung von Sportstätten wird nicht jährlich fließen wie vom DOSB erhofft – sondern nur nach und nach, bis 2029.

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