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Aus: Ausgabe vom 02.07.2025, Seite 4 / Inland
Staatliche Diskriminierung

Herrschaft, aber höflich

Antidiskriminierungsstelle bemängelt systematische Benachteiligung durch deutsche Behörden und schlägt Reform vor
Von Niki Uhlmann
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Kein Klassismus: Das Jobcenter vermittelt Ausbeutern jederzeit frische Erwerbslose (Berlin, 25.6.2025)

Wen der »Staat ungerecht behandelt«, der »kann das Vertrauen in die Demokratie verlieren«, leitete die Antidiskriminierungsstelle (ADS) des Bundes am Montag die Befunde ihrer Umfrage über staatliche Diskriminierung ein. Vorbeugend hat die ADS darum ein 250 Seiten starkes Rechtsgutachten lanciert, das die »Ausweitung des rechtlichen Diskriminierungsschutzes auf hoheitliches Handeln im Bereich der Bundesgesetzgebungskompetenz« prüft.

»Die Ergebnisse der Befragung sind ambivalent«, stellt die Studie fest. Einerseits hätten viele »grundsätzlich ein positives Bild von Ämtern, Behörden und der Polizei«. Von 2.000 Befragten habe mit 86 Prozent das Gros angegeben, sich »durch die Anwesenheit der Polizei« sicher zu fühlen. Vier von fünf Menschen fühlten sich zudem von »Behördenmitarbeitern ernst genommen«. Andererseits bejahe eine knappe Mehrheit, dass sich »nicht alle Menschen auf den Schutz durch die Polizei verlassen können«. Ferner hätten 38 Prozent der Befragten angegeben, in Ämtern und Behörden »kämpfen« zu müssen, »um Rechte durchzusetzen«.

Benachteiligt werden vor allem jene, die es in der Klassengesellschaft ohnehin schwerer haben. Menschen mit Behinderungen und Migrationsgeschichte treffe es in Ämtern »fast doppelt so oft wie Menschen ohne diese Merkmale« und Menschen unter 36 Jahren häufiger als Menschen über 56. Als Gründe seien von Betroffenen »am häufigsten ihr Lebensalter und ihr sozioökonomischer Status« benannt worden. Abermals wird festgestellt, dass die Polizei vor allem junge, männliche Migranten diskriminiere. »Menschen sind beim Bäcker besser vor Diskriminierung geschützt als beim Bürgeramt«, resümierte Ferda Ataman, die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung. Immer mehr Beschwerden würden ihre Stelle erreichen.

Ataman mahnte zudem, »dass Betroffene sich kaum gegen solche Benachteiligungen wehren können«. Die Studie hält fest, dass das deutsche Antidiskriminierungsrecht »außerordentlich lückenhaft ist«. Für staatliche Institutionen sei das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes bislang »umfassend konkretisiert« worden, obwohl das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) entsprechende zivilrechtliche Ansprüche längst in die Arbeitswelt eingeführt habe. Im Verwaltungsrecht würde nicht mal der »Umgang« mit beanstandeter Diskriminierung geregelt, während es Beschwerdestellen an »definierten Beschwerde- und Untersuchungsverfahren« mangele.

Dass »der Staat beim Diskriminierungsschutz Vorbild sein sollte«, hätten 95 Prozent der Befragten bejaht. Nur lautet der rechtliche Befund: Das AGG könne »nicht einfach auf den Bereich des staatlichen Handelns übertragen werden«. Zu vielfältig seien die staatlichen Institutionen und zu »stark« das »Machtgefälle« gegenüber den Bürgern. Ferner brauche es einen umfassenden und flexiblen »Merkmalskatalog«. Zuletzt sei zu definieren, »in welchen Fällen eine Ungleichbehandlung durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden kann«, etwa bei der Förderung von Frauen in bislang männerdominierten Arbeitsmarktsegmenten.

Vorgeschlagen wird konkret, dass Verwaltungs- oder Sozialgerichte bei Amtspflichtverletzungen »Auflagen zur Beseitigung benachteiligender Strukturen oder Praktiken« erlassen können sollen. Ferner soll eine »spezifische Anspruchsgrundlage« für Betroffene und eine »Beweislasterleichterung« gesetzlich festgeschrieben werden. Letztere würde Behörden bei Indizien für Diskriminierung verpflichten, ihre Unschuld zu beweisen. Damit solche Prüfungen nicht ins Leere liefen, müsse eine »außergerichtliche Stelle« die Einhaltung der neuen Regeln überwachen.

Man sollte bei diesen Vorschlägen – so gut sie klingen mögen – nicht vergessen, dass die ADS damit lediglich an reibungsloser Herrschaft feilt. Ihr geht es darum, die staatlichen Machtmittel bekömmlicher zu gestalten. Die Studie hantiert mit dem Beispiel einer »Frau, die von einem Jobcentermitarbeiter sexistisch beleidigt wird«. Natürlich gehört der Mitarbeiter, wie 88 Prozent der Befragten befanden, »zur Verantwortung gezogen« – und das Jobcenter trotzdem abgeschafft.

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