London verschiebt Sparprogramm
Von Dieter Reinisch
Ob der britische Regierungschef Keir Starmer seine Labour-Party doch noch zusammenhält oder eine herbe Schlappe im Unterhaus erleben wird, entscheidet sich am Dienstag: Dann kommt es zur zweiten Lesung des neuen, viel kritisierten Sozialgesetzes im Parlament. 120 Labour-Abgeordnete hatten angekündigt, gegen die Sozialkürzungen zu stimmen. Diese hätten vor allem Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen getroffen. Starmer ruderte vergangene Woche zurück.
Die Regierung bestätigte am Donnerstag, ihre geplanten Sozialkürzungen grundlegend ändern zu wollen, um einen Aufstand von mehr als 120 Labour-Hinterbänklern zu verhindern, wie BBC zunächst berichtete. Arbeitsministerin Liz Kendall informierte die Parlamentarier über die neuen Pläne. Demnach sollen Bezieher von Sozialhilfen und Fördergeldern diese weiterhin erhalten. Kürzungen gelten aber weiterhin für zukünftige Antragsteller.
Nach Informationen von BBC sind die meisten »rebellischen« Labour-Abgeordneten zufrieden mit der Änderung des Gesetzentwurfs. Meg Hillier, das bekannteste Gesicht der Gegner des Gesetzes in der Labour-Parlamentsfraktion, sagte, der neue Gesetzentwurf stelle einen »guten Schritt nach vorn« dar. Sie werde ihn nun unterstützen. Andere haben weiterhin Bedenken: Behindertenrechtler etwa befürchten ein »zweistufiges« System, weil nur künftige Antragsteller von den Kürzungen betroffen sein werden.
Starmers Regierung wollte ursprünglich mit der weiter reichenden Reform ab 2030 jährlich fünf Milliarden Pfund Sterling (5,9 Milliarden Euro) einsparen. Nun erklärte sie, den Parlamentariern Gehör geschenkt zu haben. Die kritischen Abgeordneten hätten die Reform zwar grundsätzlich unterstützt, bemängelten aber das Tempo der Veränderungen und ihre Folgen. Laut Arbeitsministerin Kendall blieben die Prinzipien der Reform erhalten: Den Schwächsten solle geholfen und zugleich dafür gesorgt werden, dass das Sozialsystem auch für zukünftige Generationen noch funktioniere.
Trotz der Änderungen könnte der Gesetzentwurf dennoch am Dienstag scheitern: Labour-Parlamentarier Peter Lamb, Abgeordneter für Crawley in West Sussex, sagte gegenüber BBC »Politics South East« am Sonntag morgen: »Ich halte es für möglich, dass wir wieder die Zahlen erreichen, die zur Ablehnung des Gesetzes führen.« Er selbst gehöre zu »einer Gruppe von Parlamentariern, die sich einig sind, dass die Formulierungen immer noch nicht akzeptabel sind.« Letztlich handele es sich bei dem Gesetzentwurf »immer noch um eine Kostensenkungsmaßnahme«. Das bedeute, »egal wie sie versuchen, das System für die Menschen in Zukunft zu gestalten: Menschen, die gesundheitlich und sozial besonders gefährdet sind, sollen Milliarden Pfund aus der Tasche gezogen werden, obwohl bessere Alternativen zur Verfügung stehen«.
Kritik kommt auch von der Opposition: Die konservative Parteivorsitzende Kemi Badenoch kritisierte die Kehrtwende der Regierung scharf und erklärte, die Politik erfülle ihre drei Bedingungen nicht: Kürzung des Sozialbudgets, »Unterstützung« der Menschen bei der Arbeitssuche und das Versprechen, keine neuen Steuererhöhungen vorzunehmen. Durch die Umformulierung des Gesetzentwurfs würde es immer noch zu Kürzungen von 2,5 Milliarden Pfund Sterling (drei Milliarden Euro) pro Jahr kommen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (30. Juni 2025 um 07:27 Uhr)So man dies in Verhältnis zu den deutschen Reaktionen auf ähnliche Sparpläne der BRD-Regierung setzt, siehe SPD-Parteitag, kommen einem die Briten nachgerade revolutionär vor.
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