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Aus: Ausgabe vom 30.06.2025, Seite 1 / Inland
Armut in Deutschland

Sommerfreuden unerschwinglich

Ein Drittel der Erwerbstätigen kann sich keine Urlaubsreise leisten. Eis immer teurer
Von Susanne Knütter
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Eine kleine Kinderkugel bitte. Mehr ist oft nicht leistbar

Fünf Euro für zwei Kugeln Eis. So sieht’s in der Köpenicker Altstadt aus, wo Dauerbaustellen zum Ambiente gehören und Gentrifizierung noch den Kinderschuhen steckt. Wer zaghaft anmerkt, dass die Eispreise wieder gestiegen sind, erfährt: »Erdbeereis kann man auch für 1,50 Euro produzieren, das schmeckt dann aber nicht.« Das ist die Auswahl im Jahr 2025.

Sechs von zehn Personen bestellen wegen der gestiegenen Preise laut einer Yougov-Umfrage immer oder gelegentlich weniger Kugeln als noch vor fünf Jahren. Die Preise für eine Kugel Eis schwanken laut dem Verband der italienischen Speiseeishersteller (Uniteis), der bundesweit 2.000 Eisdielen vertritt, stark. Die Spanne reiche von 1,30 Euro auf dem Land bis 2,80 Euro in Großstädten wie Hamburg oder München.

Eis ist teuer, andere Freizeitaktivitäten sind unerschwinglich: Einer am Sonntag veröffentlichten Umfrage des Sozialverbands Deutschland (SoVD)zufolge gibt ein Drittel der befragten Erwerbstätigen an, Urlaubsreisen seien finanziell schwer oder gar nicht möglich. Fast die Hälfte müsse in diesem Jahr beim Urlaub sparen. Selbst ein Besuch im Schwimmbad, im Zoo oder im Kino belastet. Mehr als ein Fünftel der Eltern von Kindern bis 18 Jahren gab an, sich diese Aktivitäten nur schwer oder sehr schwer leisten zu können. Die Ergebnisse bestätigen laut SoVD offizielle Zahlen, wonach etwa jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut lebt.

Auch junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren (40 Prozent) können sich Urlaubsreisen nur schwer oder sehr schwer leisten. Je nach Bildungsabschluss, der über das Einkommen mitentscheidet, ergeben sich ebenfalls klare Unterschiede: Mehr als 70 Prozent derjenigen mit Hauptschulabschluss oder ohne Abschluss, fast die Hälfte mit Mittlerer Reife und mehr als jeder Vierte mit Abitur berichtet, sich Urlaub nur schlecht leisten zu können.

Ausgrenzung infolge gestiegener Lebenshaltungskosten betreffe längst »auch die breite Mitte der Gesellschaft«, erklärte Michaela Engelmeier, SoVD-Vorstandsvorsitzende. Sie sieht die Politik in der Verantwortung, »spürbare Entlastungen (…) auf den Weg zu bringen«. Aber das Gegenteil passiert gerade.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (30. Juni 2025 um 14:23 Uhr)
    Was ins kollektive=gesellschaftliche Vergessen versenkt werden soll, sind Errungenschaften (der Begriff kam mir gestern unter, ist also noch nicht ausgestorben) des menschenverachtenden Honeckerregimes, die heute sehr wohl als Mängel tagtäglich erlebt werden: Kindergärtenplätze, die nix kosten, Mittagessen für 55 Pfennig am Schultag (und nicht auch in den Ferien zu bezahlen!) = 23 Cent, Schulhorte=Betreuung nach dem Unterricht, natürlich kostenlos, Milch für 20 Pfennig zur Frünstückspause, wahlweise Natur, Schoko und Erdbeer, Zahnarztchecks in jeder Klasse in jedem Jahr bis zur sechsten (?) Klasse, Sehtests usw. Aber - mein besonderer Liebling: Ab 1980 wurde für alle (!) Jugendlichen an den EOS ein monatlicher Zuschuss gezahlt. 100 Mark für alle in der elften Klasse, 150 für die zwölfte Klasse. Warum? Wenn Lehrlinge monatlich Geld bekommen und es nach Laune unabhängig ausgeben, dann steht es allen an den Schulen auch zu. - Selbstverständlich darf über solche Auswüchse der SED-Diktatur nur geschwiegen werden. Denn wenn herauskommt, dass diejenigen, die Abitur machen, kein Geld bekommen, aber Azubis schon? Mit der Erkenntnis: Wenn es in der DDR möglich war, dann ist es möglich! Macht dann pro Mensch in den elften und zwölften Klassen 1.200 Euro aus, um den Sozialismus zu überwinden. - Wollen wir schnell über Stipendien der Studierenden in der Familien und bürgerverachtenden DDR schreiben? Keine Rückzahlung, dazu Leistungsstipendium von 50 über 100 bis 160 Mark, Grundstipendium 190 Mark. Die meisten hatten 300, weil sie nach dem Abitur gearbeitet hatten oder nach der Fachhochschule kamen. Wohnplatz im Internat. Finanziell bestens abgesichert, Sonderstudienpläne für Mütter und Väter, auch bei Krankheit und Hilfe für Studierende aus anderen Ländern... - Hier fehlt: die verblüffende Demokratisierung der Kultur. Museen, Opernhäuser, Theater, Kinos, Jugendklubs, Konzerte - aber vor allem: die Sportvereine! Diese Demokratisierung werde ich uns dann später näherbringen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (30. Juni 2025 um 06:54 Uhr)
    Die Politik hat doch aber gerade spürbare Entlastungen auf den Weg gebracht: Die Profite großer Unternehmen werden spürbar von Steuern entlastet. Und wer sich bereit erklärt, frohen Mutes fürs Vaterland zu sterben, wird das Elend auch nur noch viel kürzere Zeit ertragen müssen. Unser harrt eine glorreiche Zukunft. Da stört das bisschen überhöhter Eispreis letztlich gar nicht.

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