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Aus: Ausgabe vom 27.06.2025, Seite 8 / Ausland
Kurden im Iran

»Das ist kein Krieg zwischen den Völkern«

Iran: Kurdische Partei erwartet Zusammenbruch der Islamischen Republik. Ein Gespräch mit Zegrus Enderyarî
Interview: Tim Krüger
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Die PJAK operiert hauptsächlich im Westen des Iran im Grenzgebiet zum Irak (Sulaimanija, 21.6.2025)

Der bewaffnete Konflikt zwischen Israel und der Islamischen Republik Iran dürfte angesichts weiterer Aggressionen so bald nicht enden. Welche Position nimmt Ihre Partei, die PJAK, dazu ein?

Die aktuelle Situation ist extrem komplex und kritisch, gerade angesichts der US-amerikanischen Angriffe auf die Nuklearanlagen des Iran. Dieser Krieg, der zwischen zwei konkurrierenden Regionalmächten geführt wird, wird mit Sicherheit die politische Landschaft des Nahen Ostens verändern. Die Wahrscheinlichkeit eines mittelfristigen Wechsels des Regimes im Iran ist relativ hoch.

Welche Auswirkungen haben die aktuellen Angriffe auf die Völker des Irans, gerade auf die kurdische Bevölkerung im Nordwesten des Landes und für andere Minderheiten?

Die Lebensumstände für die Bevölkerung verschlechtern sich jeden Tag. Die Belastung durch Inflation und den Mangel an lebensnotwendigen Gütern nimmt immer weiter zu. Das Regime versucht, jede Form des zivilen Ungehorsams zu unterdrücken. Minderheiten und prodemokratische Kräfte sind zunehmend von Vergeltungsaktionen betroffen. Kurden standen in den vergangenen Jahren an vorderster Front der Protestbewegungen und tragen nun die Hauptlast der Repression.

Wie schätzen Sie das Protestpotential ein, und welche Rolle spielt die »Jin, Jîyan, Azadî«-Bewegung dabei?

Ohne Zweifel haben die Regierenden ihre Legitimität verloren und können ihre Herrschaft nicht länger aufrechterhalten. Auch wenn der Kollaps möglicherweise noch etwas dauert, kommt er dennoch auf uns zu. Die »Jin, Jîyan, Azadî«-Bewegung zeigte, dass die Gesellschaft im Iran grundlegende Veränderungen fordert. Eine zweite Protestwelle könnte den Weg für ein demokratisches System auf der Basis von Freiheit und Menschenrechten ebnen.

Die PJAK hat schon eine »Soziale Verteidigung« angekündigt. Was meinen Sie damit?

Wie gesagt, ist das kein Krieg zwischen den Völkern, sondern ein Konflikt zwischen zwei regionalen Mächten um die Vormachtstellung. Als Kurden und als Teil der verschiedenen Völker im Iran unterstützen wir weder diesen Krieg, noch sehen wir uns als Teilnehmer. Auch wenn Leute jetzt angesichts der Schwächung der repressiven Macht des Regimes Erleichterung empfinden, sollte dies nicht als Unterstützung für Israel verstanden werden.

Als was dann?

Wir arbeiten schon lange daran, Gemeinschaften dazu zu bringen, ihre eigenen Angelegenheiten durch Selbstverwaltung zu lösen. Wenn es nötig sein sollte, stehen wir an der Seite der Bevölkerung und verteidigen unsere Gesellschaft. Das bedeutet nicht, dass wir in den Krieg eintreten. Aber wenn das Regime versuchen sollte, seine militärische Schwäche durch Angriffe auf Kurdistan oder andere Regionen im Iran wettzumachen, werden wir dies nicht hinnehmen.

Auch andere kurdische Parteien haben – trotz unterschiedlicher Sichtweisen auf die aktuelle Situation – bereits die Notwendigkeit zur Einheit betont. Mit welchen Parteien arbeiten Sie zusammen?

Wir sind im Kontakt mit allen aktiven politischen Parteien in Kurdistan und haben schon lange die Bereitschaft erklärt, ohne Vorbedingungen eine gemeinsame Front für die Verteidigung der Rechte der kurdischen Nation und aller Völker des Iran zu schmieden. Wir glauben, dass eine Struktur wie ein Nationalkongress Ostkurdistans in der aktuellen Situation notwendig ist, um Koordination und kollektives Handeln zu ermöglichen.

Welche Auswirkungen hat die angekündigte Selbstauflösung der PKK auf die Arbeit der PJAK?

Falls die Verhandlungen zwischen Abdullah Öcalan und dem türkischen Staat erfolgreich sein sollten, wird dies positive Auswirkungen auf alle Völker der Region haben und zur Demokratisierung des Nahen Ostens beitragen. In der aktuellen Situation ist die einzige tragfähige Lösung, die Gesellschaft auf der Grundlage der basisdemokratischen Selbstverwaltung wieder aufzubauen – was wir »demokratischen Konföderalismus« nennen. Die Geschichte lehrt, dass Krieg noch nie Demokratie gebracht hat, und auch die Ziele Israels sind keine demokratischen.

Zegrus Enderyarî ist außenpolitischer Sprecher der im Iran aktiven Partei für ein freies Leben in Kurdistan (PJAK)

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