Gegründet 1947 Donnerstag, 14. August 2025, Nr. 187
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 26.06.2025, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Union Busting Monitor

Geburtenstarke Jahrgänge als Drückeberger

Union Busting Monitor
Von Jessica Reisner und Elmar Wigand
Aktive_Senioren_85736523.jpg

Die Deutschen sind stinkend faul. Am Tag, in der Woche, im Leben – stets arbeiten sie zu kurz. Diese Mär brachte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) am 18. Mai 2025 via Bild und AFP einmal mehr unters Volk. Dabei bezogen sich die Pseudowissenschaftler des unternehmerfinanzierten IW – genauer betrachtet sind es Lobbyisten und Stichwortgeber für aggressive Kampagnen – auf OECD-Zahlen, die ausdrücklich als nicht vergleichbar gekennzeichnet waren.

Die restlichen Leitmedien der freiheitlich-demokratischen Bananenrepublik übernahmen die Bezeichnung »Studie« für die zusammengestümperte IW-Meldung. Klingt nach Wissenschaft. War aber eine Falschmeldung, die sich rasant verbreitete und abends schon Aufmacher der Tagesthemen war: »Deutschland, das Null-Bock-Land«.

War hier die Stoßrichtung, den Achtstundentag zu schleifen und Teilzeitbeschäftigte aufs Korn zu nehmen, die frech Vollzeitarbeit verweigern (Work-Life-Balance, haha!), so waren im Juni die Rentner dran. 0,9 Millionen Babyboomer haben es laut IW-»Studie« gewagt, der Plackerei »vorzeitig« adieu zu sagen. Sie haben entweder 45 Jahre Arbeit auf dem Buckel. Oder sie nahmen trotz mindestens 35 Versicherungsjahren hohe Rentenabzüge in Kauf. So oder so ist der Luxus, sich das Leben mit weniger Arbeit zu versüßen, teuer erkauft.

Für die IW-Autorinnen Stefanie Seele und Ruth Maria Schüler allerdings nicht teuer genug. Sie fordern, die Abschaffung der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren und noch höhere Abzüge bei Rentenbezug vor der Regelaltersgrenze. Babyboomer sind laut statistischem Bundesamt übrigens die Jahrgänge 1957–1968. Beim IW rechnet man jedoch großzügig von 1954–1969.

Zum 1. Juli 2023 gab es in Deutschland 21,229 Millionen Rentner. Das Gros der Rentner erhält zwischen 300 und 1.800 Euro Rente. Das Elend ist dabei mehr als real: 36,2 Prozent der Rentnerinnen in den alten Bundesländern erhalten weniger als 600,- Euro Rente monatlich. Bei den Männern sind es 20,5 Prozent.

Hinzuverdienen ist bei einem Rentenniveau von 48 Prozent für viele kein Lifestyle. Die IW-Autorinnen scheinen jedoch erbost, dass jeder fünfte Rentenbezieher des Jahrgangs 1959 aus der Gruppe derer, die 45 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hat, neben der Rente arbeitet. Das scheint also auch wieder nicht richtig zu sein. Die unbarmherzigen Damen des IW sehen Indizien für »Mitnahmeeffekte« – anstatt die fleißigen Rentner zu loben.

Was aber soll der von Unternehmerverbänden finanzierte Budenzauber? Ältere Bewerber werden oft gar nicht geschätzt. Im Gegenteil: Die Generation Babyboomer wurde massenhaft aus Jobs gekegelt. Ihre alten Verträge galten als zu teuer. Unzählige unbefristete und tarifgebundene Angestellte wurden durch Minijobber ersetzt. Tariflose Tochterfirmen und Leiharbeit steigerten Gewinne. Da passt, dass Finanzminister Klingsbeils Chefberater Jens Südekum (Ökonom der Uni Düsseldorf) den Kündigungsschutz für Ältere schleifen will.

Dabei wankt die deutsche Wirtschaft nicht, weil Menschen 45 Jahre lang Mehrwerte geschaffen haben. Sie taumelt, weil Besitzstandswahrer, Absahner und Nieten in Nadelstreifen in Unternehmen und Politik falsche Entscheidungen getroffen haben. Die Rentenkasse ist nicht wegen der Rentner strapaziert, sondern weil nur rund 40 Millionen einzahlen und große Gehälter per Beitragsbemessungsgrenze geschont werden. Soll die Rentenkasse zusätzlich durch kurzen Rentenbezug entlastet werden? Schließlich verkürzt jedes zusätzliche Jahr Arbeit die Lebenserwartung.

Die Mindestversorgung für Beamte mit wenigen Dienstjahren liegt aktuell übrigens bei 2.083,22 Euro/Monat. Hierzu reichen fünf Jahre Dienst. Klingt kommod. Kein Wunder, dass nur 20 Prozent der Beamten bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze arbeiten.Unseren Autoren gehören zur »Aktion gegen Arbeitsunrecht« und moderieren den Podcast Arbeitsunrecht FM.

75 für 75

Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.

 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Rene Kummerfeld aus Briesen (26. Juni 2025 um 23:36 Uhr)
    Hallo, Ich kann dem Artikel nur zustimmen. Mit 64 Jahren (geb.am 20.03.1961) kann ich zum 01.10.2027 in Rente gehen, ohne Abzüge. Dies, weil mir vier Jahre fehlen, um die 45 Jahre (bes. langjährig versichert) zu erreichen. Ich habe 1980 mit 19 das Abi gemacht und drei Jahre Studium, macht vier Jahre, welche nicht mitfühlen. Trotzdem habe ich momentan ca. 44 Rentenpunkte. Als Berufsfeuerwehrmann (Rettungssanitäter etc.) bin ich nicht mehr tätig (war immer nur angestellt in Leitstellen des Landkreises, bis 2022 in der Chemischen Industrie bei einer Werkfeuerwehr tätig). Seit September 2024 bin ich in einer Senioren- und Pflegeeinrichtung tätig. Es macht mir Spaß und ich bin noch fit. Auch geistig, was man von den Autorinnen der »Studie« wohl kaum behaupten kann. Übrigens haben wir im Juli 45jähriges Klassentreffen der Abiturklasse. Ergo, ich habe als konkret benannter Babyboomer wohl mehr als genug Beitrag geleistet, leiste ihn noch immer und beklage mich nicht. Als typischer Arbeitnehmer habe ich geleistet und leiste ich noch immer meinen Beitrag für die Gesellschaft. Sei es in Form aller Abgaben an den Staat und anhängenden Institutionen (FA, Krankenkasse, RV, PflV, ArblVs), sei es in sozialem Engagement (freiwillig. Fw, Schöffe am Amtsgericht, 7 Jahre BR-Vorsitzender ohne Freistellung), da graut mir ehrlicherweise vor dem Betrag, der auf meinem Rentenbescheid stehen wird. Aber kein Problem, dann gehe ich halt weiter arbeiten oder besser noch, ich sterbe zeitnah. Eine Gesellschaft, welche ihre Mitbürger, die ihr Leben gelebt und gearbeitet haben, so darstellt, ist auf dem Weg, jegliche Akzeptanz zu verlieren. »Time – deine Zeit läuft ab«, ein wirklich guter Film, beschreibt treffend unsere Zukunft, ich hoffe nur, dass dann auch die Autorinnen und all jene, welche sich per se aus der Solidargemeinschaft verabschiedet haben, in der für sie gefühlt richtigen Zone leben. Dieses Altenbashing kotzt mich nur noch an.
  • Leserbrief von Heinrich Hopfmüller aus Hjörring (26. Juni 2025 um 12:55 Uhr)
    Mit Sicherheit verkürzt jedes zusätzliche Jahr Arbeit die Rentenbezugsdauer. Die Veränderung der Lebenserwartung wird durch die Statistik der Zukunft bewiesen. Bitte nicht auf Beamte schimpfen! Die haben ein öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis und dürfen nicht streiken. Das muss schon belohnt werden!
    • Leserbrief von Hartmut Haupt aus Gera (26. Juni 2025 um 15:46 Uhr)
      Mit dem Verzicht auf das Streikrecht erkauft man sich den (ca.) doppelten Altersruhebezug? Das würde sich garantiert gern jede Putzfrau leisten können.

Mehr aus: Betrieb & Gewerkschaft

                                                                 Aktionsabo: 75 Ausgaben für 75 Euro