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Aus: Ausgabe vom 23.06.2025, Seite 15 / Politisches Buch
Debatte über den Faschismus

Wurzeln und Kontinuitäten

In die »freie Welt« integriert: Luciano Canforas Schrift über den »untoten Faschismus« in Italien
Von Gerhard Feldbauer
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An der Spitze der Republik: Giorgia Meloni und Matteo Salvini (Rom, 25.10.2022)

Das kleine Büchlein hat es in sich. Auf 100 knappen Seiten vertritt Luciano Canfora eine prononcierte These: Der Faschismus existiert weiter, und zwar als Faschismus. Und nicht als Bestandteil einer »rechten Mitte«, die ihm lediglich zur Tarnung dient, sondern als genuiner Faschismus, mit einer politischen Ideologie eigener Art, die auch aktiv vertreten wird. Und die auch andere Rechte aufnehmen, fördern und verbreiten.

Zu Beginn seines Buches »Der untote Faschismus« (Originaltitel »Il Fascismo non e mai morto«), das vor allem die Situation in Italien in den Blick nimmt, geht der 1942 geborene Altphilologe und Historiker, dessen »Kurze Geschichte der Demokratie« vor 20 Jahren in der Bundesrepublik vor allem von liberalen Historikern wütend attackiert wurde, bestimmt Canfora den Rassismus als »Kern des Faschismus« und »herausragendes charakteristisches Merkmal«. In der Einleitung erinnert Canfora an Roberto Calderoli von der Lega, der, bevor er in der Regierung Meloni 2022 Minister wurde, längst als Rassist bekannt war, und zum Beispiel die EU-Abgeordnete afrikanischer Abstammung, die Augenärztin Cécile Kyenge, als »Orang-Utan« beschimpft hatte.

Sich vom Faschismus »ein konkretes Bild zu machen«, erfordere, seine »spezifischen Wurzeln« in der Geschichte samt ihrer Ausstrahlung zu betrachten. Die führen zurück in die Zeit, als Italien am Ende des 19. Jahrhunderts seine ersten Kolonien in Ostafrika etablierte. Die Kolonialideologen jener Zeit traten mit einem ideologischen Potpourri aus »Altem Rom«, Italien »als Zentrum des Christentums« und »zivilisatorischer Mission« auf. Auch Mussolini reklamierte später diese Ideologie für sich und führte 1934 zur Herausstellung seiner führenden Rolle als Begründer des internationalen Faschismus sogar gegenüber den Nazis ein rassistisches Argument ins Feld: »Dreißig Jahrhunderte Geschichte erlauben uns, mit einem souveränen Mitleid auf gewisse Ideen von jenseits der Alpen zu blicken, die von einer Brut vertreten werden, welche wegen Unkenntnis der Schrift unfähig war, Dokumente ihres Vorhandenseins zu hinterlassen, als Rom einen Cäsar, Vergil und Augustus besaß.«

Canfora betont, »dass für eine nicht gerade kurze Zeit der italienische Faschismus zum Modell für Bewegungen und Parteien sowie Strömungen der öffentlichen Meinung im ganzen Westen« geworden sei, wobei er sich auch mit »antikolonialistischem«, also gegen den britischen und französischen Kolonialismus gerichtetem Nationalismus »im Mittleren Osten, in Nordafrika und sogar in Indien verband«.

Und so geht es, unter Berücksichtigung der Modifikationen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und der Einbettung faschistischer Diktaturen in die »freie Welt«, in der Darstellung weiter zur Herkunft der Partei »Brüder Italiens«, die mit Giorgia Meloni derzeit die Ministerpräsidentin stellt, aus der schon im Dezember 1946 wiedergegründeten Nachfolgeorganisation der faschistischen Partei in Gestalt des Movimento Sociale Italiano (MSI), die sich unter der Losung »Wir werden wiederkommen« im Namen und im Programm auf die faschistische Diktatur berief, und deren Erben stolz darauf sind, »nicht abzuschwören« – und nun unter und mit Meloni »fast an der Spitze der italienischen Republik angekommen sind«.

Einen Mitbegründer des MSI, den ehemaligen Kommandeur der 10. Torpedobootflottille und wegen 800fachen Mordes an Partisanen verurteilten Kriegsverbrecher Valerio Borghese, der sich »unbeschadet in die Nachkriegszeit hinübergerettet hat«, stellt Canfora als bezeichnend für das »Überleben und die bruchlose Kontinuität« des Faschismus heraus. Den MSI-Chef Giorgio Almirante, unter dem »Duce« Staatssekretär, der noch kurz vor Kriegsende einen »Genickschusserlass« gegen Partisanen erlassen hatte, zitiert Canfora mit der Aussage, dass das Ziel »immer der Faschismus gewesen sei und das auch so bleiben« werde. Canfora präsentiert auf engem Raum alle wesentlichen Fakten: Die Integration des MSI in das Parteiensystem, seine Demagogie, seine Verwicklung in den faschistischen Terrorismus, seine Rolle in der Putschloge Propaganda due und die Beteiligung am Mordkomplott gegen Aldo Moro, die Umwandlung in die »postfaschistische« Alleanza Nazionale (AN), die Aufnahme in die Regierung unter Berlusconi bis zur Sammlung der AN-Mitglieder nach dem Fall Berlusconis durch Meloni in der von ihr gegründeten Partei der »Brüder Italiens«, die selbstverständlich das alte MSI-Logo übernommen hat. Dass das eine innere Logik hat, zeigt Canfora in seinem Büchlein.

Luciano Canfora: Der untote ­Faschismus. Mussolini und der fruchtbare Schoß der »freien Welt«, Papyrossa, Köln 2025, 101 Seiten, 12 Euro

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