Lagardes Euro-Moment
Von Lucas Zeise
Christine Lagarde haut auf die Pauke. Im führenden Wirtschaftsblatt Europas, der Londoner Financial Times, meint die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), der »globale Euro-Moment« sei gekommen, so ihr Meinungsbeitrag vom Dienstag. Da sich die USA anschickten, ihre globale Rolle als Stütze des Weltfinanzsystems aufzugeben, sei es an der Zeit, dass sich der Euro zur Weltwährung emporschwingt. Das sind neue Töne aus der EZB. Als der Euro um die Jahrtausendwende geschaffen wurde, wiesen der damalige EZB-Präsident Wim Duisenberg und sein Chefvolkswirt Otmar Issing jeden Ehrgeiz von sich, der neuen Gemeinschaftswährung das Ziel vorzugeben, den US-Dollar als führende Weltwährung abzulösen oder auch nur gleichwertig mit ihm zu werden. Als der Euro zehn Jahre später – auch wegen der aggressiven Politik Berlins gegenüber den wirtschaftlich schwächeren Euroländern – in Überlebensgefahr geriet, war von solchen antiamerikanischen Utopien ohnehin nicht mehr die Rede.
Die Zeiten ändern sich. US-Präsident Donald Trump verstößt erklärtermaßen mit uralter Zollpolitik gegen die Interessen der europäischen Verbündeten. Sein Finanzminister Scott Bessent wünscht, das außerordentliche Privileg einer Weltwährung zugunsten »Amerikas« besser zu nutzen und sein Vizepräsident J. D. Vance »hasst es, die Europäer herauszukaufen«. Seit Jahresbeginn ist auch deshalb der Dollar (nicht nur gegenüber dem Euro) abgerutscht, laufen die europäischen Aktien besser als die US-Titel, und scheint das Wachstum in den USA bis auf europäisches Kümmerniveau nachzugeben bei gleichzeitig wieder anziehender Inflation. An der Tatsache, dass der Euro seit 25 Jahren weit hinter dem Dollar die zweitwichtigste Währung bleibt, ändert all das nichts.
Als Manko der EU-Währung führt Lagarde das immer wieder beklagte Fehlen eines einheitlichen Kapitalmarkts an und verweist auf die fehlende einheitliche und tiefe Staatsverschuldung, wie sie die USA bieten. Sie erwähnt das Offensichtliche nicht, dass es nämlich im EU-Gebilde keine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt, wie sie französische Regierungen immer mal wieder gefordert, die deutschen aber regelmäßig abgelehnt haben. So lässt sich kein eigenständiger EU-Imperialismus basteln.
Wie hoffnungsfroh wird unsere EZB-Präsidentin aber, als sie feststellt, dass Europa sich dem Wiederaufbau »harter Machtfaktoren« zuwendet. Ja, ist es nicht wunderbar, dass inmitten des kleinlichen Gefeilsches über Finanzen, Währungsstabilität und Ökoquoten nun endlich wundersam der Rüstungsboom allerorten gleichzeitig ausbricht und Starmer, Macron und Merz ihre Völker zum Krieg vorbereiten, ohne auf irgendwelche Schuldenquoten achten zu müssen? »Wir« sind mit 89 Prozent öffentlicher Schulden am BIP noch weit vom US-Niveau (124 Prozent) entfernt, stellt Lagarde als großen Vorteil fest, was sie ein paar Absätze zuvor noch als fehlende Tiefe des Euro-Marktes für Staatsschulden beklagt hatte. Der Euro-Moment ist auch bei der obersten Bankerin der Währungsunion nichts weiter als die Besoffenheit mit den nach oben offenen Rüstungsaufträgen der einzelnen europäischen Nationalstaaten.
Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Aachen
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