Mann mit Vergangenheit
Von Gabriele Damtew
»Woltemade« hatte ich mir schon vor zwei Monaten auf der To-do-Liste notiert. Meine früher fußballernde, inzwischen politisch proaktive Tochter sah, das Wort lesend, irritiert auf und hatte gärtnerische Bekämpfungsmethoden vor Augen. Weit gefehlt. Inzwischen taucht Nick Woltemade, Fußballer in Diensten des VfB Stuttgart, in vielen sportjournalistischen Kolumnen auf. Wer nicht gerade VfB-Fan ist, lernte ihn vielleicht erst im DFB-Pokalfinale kennen, als er das Führungstor für die späteren Sieger schoss. Dann folgte sein Debüt in der Nationalelf, Nations League. Kein Tor, aber ordentlich, wie die Bremer Stadtmusikanten sagen. Von da kommt er.
Was viele nicht wissen (wollen): Er hat eine Vergangenheit. In den Unterklassen. Okay, ich geb’s zu – als Leihgabe des Bundesligisten Werder Bremen. Wo Nick seine Jugend ließ, anscheinend zu seinem Besten. Obwohl er sofort übernommen wurde – als jüngster Werder-Spieler aller Zeiten –, verlieh man ihn 2022 erstaunlicherweise an einen Underdog, den SV Elversberg, Aufsteiger aus der Regionalliga Südwest. Dort hatte ein gewisser Horst Steffen das Sagen als Trainer, der, wie man inzwischen weiß, besagte Mannschaft mit viel taktischem Geschick und sozialer Intelligenz direkt in die zweite Bundesliga hievte. Woltemade hatte durch das in ihn gesetzte Trainervertrauen nicht geringen Anteil am Aufstieg und wurde zum Spieler der dritten Liga gewählt. Was für ein Kerl, dachte ich damals. Noch erstaunter waren seine Gegenspieler, setzte Woltemade zum Solo an. Wie sollte man, bitteschön, ein sauberes Tackling bringen, ohne sich in langen Beinen oder sonstiger vielgliedriger Körpersprache zu verhaken. Bei Dribblings in Strafraumnähe konnte Woltemade auf diese Weise so manchen Strafstoß rausholen.
So schnell fällt mir kein deutscher Stürmer mit den Attributen des 1,99-Meter-Mannes ein. Wäre er wie Per Mertesacker, der die gleichen Koordinaten sein eigen nennt, als Verteidiger unterwegs, würde das kaum verwundern. Woltemade ist entgegen seiner Größe allerdings kein Kopfballungeheuer, seine Gefährlichkeit entsteht durch geistige und körperliche Beweglichkeit, beide in ihrer Unvorhersehbarkeit überraschend.
Derzeit ist der Angreifer bei der U-21-Europameisterschaft in der Slowakei aktiv. Im ersten Vorrundenspiel gegen Slowenien hatte Woltemade alle drei Treffer besorgt, unter freundlicher Mithilfe seiner Teammates, selbstredend. Die Tschechen waren im zweiten Spiel vorgewarnt, versuchten, ihm die Räume zu nehmen, was seinen Mitspielern Freiraum gab. Nicolò Tresoldi zum 0:1, Paul Nebel zum 0:2 unter Mitwirkung von Woltemade. 0:3 Woltemade per Kopf, geht doch! Das irrste Tor zum 0:4: Woltemade nimmt den Abpraller des Torwarts wieder auf, ahnt im Bruchteil einer Sekunde, in der Box schlechter zu stehen als Eric Martell, hüpft hoch und Martells Ball landet so im Tor. Ein bisschen Simsalabim kann dem deutschen Spiel ja nicht schaden. Endstand 2:4.
Dennoch, der letzte, der auf den Hype um ihn Wert legt, ist Woltemade selbst.
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