Skeptische Blicke
Von Matthias Reichelt
Eine weibliche Person in Rückenansicht, zum Teil mit Reizwäsche bekleidet, scheint hinter einen Vorhang schauen zu wollen. Die Hand ist weiß, während der Kopf einer schwarzen Frau auf den Schultern in einer 180-Grad-Drehung den Betrachter, die Betrachterin zu fixieren scheint. Der große Digitaldruck einer Fotocollage von Frida Orupabo in der Ausstellung »On Lies, Secrets and Silence« im Sprengel-Museum Hannover evoziert beim Anschauen ein unangenehmes Gefühl. Man fühlt sich als Voyeur ertappt. Der Blick gilt nicht nur dem weiblichen Körper, sondern auch dem ihm aufgesetzten »schwarzen« Kopf. Die Arbeit thematisiert sowohl den Sexismus wie auch den Rassismus, dem Frauen mit schwarzer Hautfarbe in einer vorwiegend »weißen« Gesellschaft ausgesetzt sind.
Aus Bildfragmenten unterschiedlichen Ursprungs zusammengesetzte und mit Spreizklammern zu Figuren montierte skulpturale Collagen mit Gesichtern schwarzer Frauen hängen großformatig an den Wänden des Sprengel-Museums. In vielen dieser Collagen sind die Gesichter in den Ausstellungsraum gerichtet und scheinen die Besucher ebenso direkt anzustarren wie in der eingangs beschriebenen Arbeit. Eine Konfrontation mit einem anderen Blick, der Selbstermächtigung, Anklage und Konfrontation transportiert. Die einzelnen Teile der mit Spreizklammern zusammengehaltenen Körper werden von Orupabo mitunter aus ganz anderen Vorlagen für die collagierten Figuren wie für ein Schnittmuster in der Mode zurechtgeschnitten und dann montiert. Manche dieser skulpturalen Objekte erinnern durch die Montage an die manchem vielleicht noch aus der Kindheit bekannten Hampelfiguren an der Wand, deren Glieder durch Ziehen eines Seiles bewegt werden konnten.
Die harten Brüche zwischen Weiß und Schwarz in den konstruierten Körpern und die Laszivität der absurd verdrehten Körperhaltungen schärfen die Aufmerksamkeit für die Collagen, mit denen Orupabo uns regelrecht attackiert. »In der Gesellschaft, in der ich aufwuchs, sahen nur wenig so aus wie ich, und es gab keine Repräsentation von uns außer in einer rassistischen und sexualisierten Art.« Dieser Satz von Frida Orupabo fällt in dem Film »I was hungry for images that would resemble me« von 2024, der auch bei Youtube zu sehen ist.
Die 1986 in Norwegen als Tochter einer »weißen« Norwegerin und eines »schwarzen« Nigerianers geborene Künstlerin hat Soziologie studiert und arbeitete als Sozialarbeiterin mit Prostituierten und Opfern von Zwangsprostitution in Oslo. Früh begann sie sich auf der Suche nach ihren väterlichen Wurzeln für »schwarze« Geschichte, »weiße« Dominanz und deren Resonanz in popkulturellen Kontexten zu interessieren und durchsuchte das Internet nach Erzählungen und Bildern, aus denen sie digitale Collagen konstruierte. Ihre Funde speichert sie seit 2013 auf dem Instagram-Account »@nemiepeba«.
Seit Frida Orupabo 2017 von dem afroamerikanischen Künstler Arthur Jafa gebeten wurde, mit ihm zusammen in der Serpentine Gallery in London auszustellen, verfolgt Orupabo auch eine offizielle Karriere als Künstlerin und kann mittlerweile auf internationale Ausstellungen in renommierten Museen zurückblicken.
Anlass der aktuellen Einzelausstellung im Sprengel-Museum ist die Verleihung des »Spectrum – Internationaler Preis für Fotografie der Stiftung Niedersachsen« an die Künstlerin. »In der Auseinandersetzung mit den schmerzhaften Fehlstellen visueller Überlieferungen und ihren komplexen, auf Aufklärung zielenden Bildfindungen, in denen die Gewalttätigkeit tradierter Blickregime zur Anschauung gebracht wird, nimmt Frida Orupabo in der Fotografie der Gegenwart eine sehr besondere Rolle ein.« So die Begründung der Jury, der auch die Kuratorin der Ausstellung, Inka Schube, angehörte.
Im Lauf der an Reputation zunehmenden Karriere mit immer größeren Ausstellungen bei internationalen Institutionen gerieten die skulpturalen Collagen von Orupabo immer größer. Auch begann sie mit wandfülllenden farbigen Vorhängen zu arbeiten, die sich nur spaltbreit öffnen und ein schwarzes Gesicht preisgeben, das den Raum zu beobachten scheint. Dazu äußerte die Künstlerin ihre Absicht, dass die Betrachtenden beim Betreten eines Ausstellungsraumes im übertragenen Sinne »aufgefressen« werden sollen. Orupabo setzt das überwiegend weiße Publikum den skeptischen Blicken schwarzer Gesichter ihrer Figuren aus und dreht somit die gewohnten Verhältnisse und das gängige »Blickregime« um. Auf diese Weise evoziert sie ein Unwohlsein, das aber zum Nachdenken über Kolonialismus und Rassismus anregen kann.
Frida Orupabo: »On Lies, Secrets and Silence«, Sprengel-Museum Hannover, bis 20. Juni
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Privatsammlung09.05.2025
Punkt und Linie zu Fläche
- Marja Helander15.09.2023
Ein eigener Raum
- Kollasch/Museum Utopie und Alltag14.06.2023
Nicht eingelöste Versprechen
Mehr aus: Feuilleton
-
Pinsel der Widersprüche
vom 16.06.2025 -
Das andere des Westens
vom 16.06.2025 -
Game over
vom 16.06.2025 -
Küchenpsychologie: Herrenschuhverkauf
vom 16.06.2025 -
Nachschlag: Seine Chance
vom 16.06.2025 -
Vorschlag
vom 16.06.2025 -
Veranstaltungen
vom 16.06.2025