Game over
Von Ken Merten
Wahrscheinlich können sie ihre Songs selbst nicht voneinander unterscheiden, auch wenn Gitarrist Tom Williams behauptet, dieser sei mehr »Diamond Eyes« der Deftones und jener sei das Stück, mit dem man sich mit Primus verwandter mache: Stray from the Path aus Long Island, New York, haben eigentlich nur einen Song, und den immer wieder geschrieben. Glücklicherweise ist der sehr gut: süffiger Hardcore mit viel Distortion, dazu Bounce und Groove. Der 2005 zur Band gestoßene Sänger Andrew »Drew York« Dijorio rappt drauf, dauerhaft angepisst, als wolle er klarstellen, dass, wer denkt, nur wütend werden kann. Nun aber ist Schluss: »Clockworked«, das nur über den Buschfunk und mit einer Single angekündigte zwölfte Studioalbum des 2001 gegründeten Quartetts, schlägt die Stunde des Ruhestands. Zum Jahresende, so diesmal vorab transparent gemacht, nimmt die Band ihre Auflösung vor.
»Clockworked« verhandelt die Zurichtung des Menschen, der sich tot schuftet, darüber in Sucht und andere Krankheiten gerät und keine Hilfe erwarten kann. Unterstützung erfahren Stray from the Path durch Jeffrey Moreira von Poison the Well und Landmvrks’ Florent Salfati. Letztere Metalcoreband aus Marseille ist ähnlich nah am HipHop gebaut wie Stray from the Path, handwerklich variabler, politisch weniger explizit. Geht der Staffelstab nach Frankreich, mag man das als Zeichen der Zeit verstehen.
Die ist voll des Wahnsinns: »Whoa, they shot a guy? / Just walk it off / Another genocide? / Man, just walk it off«, heißt es in »Kubrick Stare.« Der Blick, den einer wirft, wenn er vollends überschnappt, ist keine Schlüsselszene im Kino mehr, sondern Alltag. Aber vom Film kommen die Ideen: Die Partie »Drei gewinnt« auf dem Albumcover sei von »War Games« (1983) inspiriert, so Williams gegenüber dem britischen Musikmagazin Kerrang! im Interview zum Release. Der Computer, der sich darin des Nuklearwaffenarsenals der im Systemstreit liegenden Menschheit bemächtigt, wird letztlich lahmgelegt, indem ihm befohlen wird, gegen sich selbst zu spielen und vor stumpfen Kreuzchen- und Kreischen-Zeichnen und schizoidem Tic-Tac-Toe-Patt kapituliert. Williams zitiert die Filmmaschine: »Der einzige gewinnbringende Zug ist der, das Spiel nicht zu spielen.«
Ein Spiel, das man nur verlieren kann: Williams nimmt den Demokraten übel, dass sie Bernie Sanders ausgebootet haben. Und sich selbst, dass die Band das gewaltphantasievolle Lied »Fuck Them All to Hell« nicht, wie einst geplant, im Zuge der Wahlen im Herbst vergangenen Jahres herausgebracht hat. Der Grund: »Der Titel ist an alle in der Politik adressiert.« Jedoch: »Wir sind keine Fans von Kamala Harris, aber sie wollte Tim Walz als Vizepräsidenten.« Der sei »relatively left-leaning«, eher linksgerichtet. Den habe man nicht mitmeinen wollen. »Aber dann ist das alles passiert. Es war ein Desaster. Wir wünschen uns, wir hätten es veröffentlicht.« Links weit aus dem Fenster gelehnt, wünsche ich, nicht alle aus der Politik in die Hölle zu verfrachten. Nur die Richtigen, aber von denen alle.
Stray from the Path: »Clockworked« (Sharp-Tone Records)
Termine:
18.6., Chez Heinz, Hannover; 26.6., Café Central, Weinheim
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