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Aus: Ausgabe vom 16.06.2025, Seite 1 / Titel
Iran-Krieg

Aggression und Reaktion

Israel greift weiter militärische, wirtschaftliche und zivile Ziele im Iran an, Teheran schlägt zurück. Netanjahu ruft zu Umsturz auf
Von Jörg Kronauer
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Großbrand nach einem israelischen Angriff auf ein Öldepot in Teheran (15.6.2025)

Israel hat seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Iran am Wochenende fortgesetzt und dabei neben militärischen Stellungen erneut auch Atomanlagen, Irans Energieversorgung, Regierungsgebäude und Wohnhäuser zerstört oder beschädigt. Getroffen wurden neben Raketensilos unter anderem Treibstofflager, Fördereinrichtungen am Erdgasfeld South Pars – einem der größten der Welt –, das Verteidigungsministerium und zum wiederholten Male die Atomanlage Isfahan. Über womöglich austretende radioaktive Strahlung war bis Redaktionsschluss nichts bekannt. Bis Sonntag mittag waren laut Angaben des Roten Halbmondes 18 der 32 iranischen Provinzen von Angriffen betroffen; die Zahl der Todesopfer war unklar, dürfte aber laut den vorhandenen Angaben iranischer Agenturen im dreistelligen Bereich liegen. Auch am Sonntag nachmittag dauerten die israelischen Angriffe an. Verteidigungsminister Israel Katz hatte zuvor gedroht, sollte Iran sich verteidigen, werde »Teheran brennen«.

Iran verteidigte sich und griff mehrere israelische Städte mit Raketen an. Tel Aviv räumte bis Sonntag mittag insgesamt 22 Einschläge, 13 Todesopfer und fast 400 Verletzte ein. Die Zahlen dürften – wie die Opferzahlen Irans – zu niedrig sein. Getroffen wurde, wie Videos belegen, unter anderem das Weizmann-Institut für Wissenschaften in Rehovot. Ziel wurden zudem laut Angaben der iranischen Revolutionsgarden Fabriken, in denen israelische Kampfjets hergestellt werden, sowie Treibstofflager für Flugbenzin. Parallel teilte Teherans Außenminister Abbas Araghtschi mit, man sei zur Deeskalation bereit. Der israelische Angriff habe nicht eine angeblich kurz vor Vollendung stehende iranische Nuklearwaffe verhindern, sondern die Atomverhandlungen mit Washington stoppen sollen. Er stellte in Aussicht, sobald Israel »die Aggression beendet«, werde »auch unsere Reaktion enden«.

US-Medien wie die New York Times räumten am Wochenende unumwunden ein, Araghtschis Äußerung, Israel habe mit dem Angriff einen neuen Nukleardeal verhindern wollen, werde in der außenpolitischen Community weithin geteilt. Manche wiesen darauf hin, dass Israel bereits in seiner ersten Angriffswelle unter anderem Ali Shamkhani umbrachte; er galt als Kopf der iranischen Verhandlungsstrategie. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu rief unterdessen zum Umsturz auf. Die iranische Bevölkerung müsse für die »Freiheit« und »gegen dieses böse und mörderische Regime« kämpfen, erklärte er in einer auch auf persisch verbreiteten Stellungnahme. In Washington wurden eilig Dutzende Mitarbeiter des persischsprachigen Dienstes von Voice of America zurückgerufen, die zuvor – wie fast alle Angestellten des Staatssenders, den US-Präsident Donald Trump eigentlich auflösen will – zwangsbeurlaubt worden waren.

Den Sturz der iranischen Regierung forderte auch der in den USA lebende Schahsohn und »Kronprinz« Reza Pahlavi, die Galionsfigur der iranischen Exilmonarchisten, der Israel einst einen Friedensschluss angeboten hatte und bei westlichen Regierungen an Popularität gewinnt. In Iran ist er freilich unbeliebt. Unterdessen zeichnet sich eine weitere regionale Eskalation ab. Die jemenitischen Ansarollah teilten mit, mehrere Raketen auf Israel abgefeuert zu haben. Israel bombardierte seinerseits den Jemen. Proiranische Milizen im Irak verlangten den Abzug der US-Truppen aus ihrem Land, da diese israelischen Jets den irakischen Luftraum geöffnet hätten.

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  • Leserbrief von Rudi Eifert aus Langenhagen (16. Juni 2025 um 16:47 Uhr)
    Eines ist klar erkennbar. Der Terrorkrieg gegen die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen und im Westjordanland – und nun auch der Erstschlag gegen den Iran – dient in allererster Linie dem politischen Überleben des Kriegsverbrechers Netanjahu. Was dieser Mann führt, ist ein Privatkrieg um seiner selbst willen. Um so unverständlicher sind die Reaktionen westeuropäischer Länder. Beschämender indes sind die Aussagen unserer BRD-Politiker, allen voran die entsetzlich schwache Figur unseres neuen Außenministers Wadephul, der davon schwadroniert, die Iraner sollten Zurückhaltung üben, während die militärischen Angriffe der Israelis unisono als Selbstverteidigungsaktionen verharmlost werden. Ein Armutszeugnis gab unser Bundeskanzler Merz vor seinem Abflug zum G7-Gipfel in Kanada ab, der der israelischen Regierung aufgrund der angeblichen nuklearen Bedrohung des Mullah-Regimes in Teheran das Recht auf Selbstverteidigung zugestand – und somit auch das Recht auf einen Erstschlag. Das Recht, auf die Kriegserklärung des Regimes in Tel-Aviv entsprechend zu reagieren, wird Teheran mehr oder weniger unverhohlen verwehrt – schlimmer noch: Die Medien stellen Teheran als Kriegsaggressor dar, der für diese kriegerische Auseinandersetzung letztlich verantwortlich sei. Man mag sich nicht vorstellen, wie der Westen reagiert hätte, wenn Teheran im Rahmen seines Selbstverteidigungsrechtes – das hätte er doch wohl, oder nicht? – Nuklearanlage in der israelischen Negev-Wüste angegriffen. Nicht auszumalen, was dann geschehen wäre.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (15. Juni 2025 um 21:58 Uhr)
    Gerade Premierminister Netanjahu, dessen politische Macht zunehmend wankt, ruft nun offen zum Sturz einer anderen Regierung auf. Doch mit welchem Recht und welchem Kalkül? Während sein eigenes Land von innenpolitischer Instabilität erschüttert wird, fordert er ausgerechnet in einem anderen Staat einen Regimewechsel. Das wirft grundlegende Fragen zur Legitimität und Motivation dieser Politik auf. Der Iran ist rund 74mal größer als Israel und hat etwa das Zwölffache an Bevölkerung. Kein Akteur in der Geschichte hat je mit einem derart massiven Kräfteungleichgewicht freiwillig einen Krieg begonnen. Israel besitzt zwar militärische Luftüberlegenheit – doch nur aufgrund der massiven Unterstützung durch die Vereinigten Staaten. Selbst mit dieser Überlegenheit wäre ein so großes Land wie der Iran, das fast viereinhalbmal größer ist als Deutschland, mit bloßen Luftangriffen nicht »auszuschalten«. Auch die demografische Realität spricht dagegen: Eine Bevölkerung, die zwölfmal größer ist als die Israels, lässt sich nicht einfach »vernichten«. Trotz gezielter Angriffe auf iranische Atomanlagen wurden laut bislang verfügbaren Berichten keine radioaktiven Emissionen gemessen. Das legt nahe, dass Israel keine relevanten nuklearen Kapazitäten tatsächlich zerstört hat – im Widerspruch zu vielen propagandistischen Darstellungen westlicher Medien. Was also verfolgt Netanjahu mit diesen Angriffen? Es geht offensichtlich nicht um Verteidigung oder Prävention, sondern um einen gezielten Versuch, einen Regimewechsel in Teheran herbeizuführen – während er selbst einer solchen Entwicklung im eigenen Land zu entgehen sucht. Diese Doppelmoral ist kennzeichnend für die Machtpolitik im Nahen Osten, in der geopolitische Interessen, Machterhalt und außenpolitische Eskalation oft Hand in Hand gehen.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (16. Juni 2025 um 14:54 Uhr)
      Oder: Flächenangaben und Bevölkerungszahlen spielen gar keine Rolle, wenn ein Antisemit wie Bibi Netanjahu alle zu Antisemitischen erklärt, die ihm nicht passen. Beginnend bei den Moabitern (Heiden), weiter mit dem Ehebruch (Batseba) und dem Todeskommando für Uria, gefolgt von Edam und Ammon usw. – William Clinton erklärte direkt nach seinem Gespräch mit Bibi (1997): »Der führt sich auf als wäre er der Herrscher der mächtigsten Supermacht.« – Das präsentiert uns diese Gestalt samt immer weiter angezüchteter Corona seit inzwischen dreißig Jahren. – Mit welchem Erfolg? Massenmorde der israelischen Regierenden außerhalb des Iran (Gaza, Irak, Westjordanland, Libanon, Golanhöhen, Jemen) werden auch in der Tagesschau, also einem Massenmedium, das von uns bezahlt wird, die zu 80 Prozent gegen Lieferungen von Waffen an die israelische sogenannte IDF sind, seit Tagen nicht mehr erwähnt. Also gibt es dort keine Opfer mehr? Das kann ja nur stimmen.

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