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Goldreserven auf Rekordhoch

Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs
Von Lucas Zeise
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Jedes Jahr lässt die Führung der Europäischen Zentralbank (EZB) von ihren Angestellten einen Bericht über »die internationale Rolle des Euro« erstellen. Der jüngste Bericht ist am vergangenen Mittwoch erschienen und enthält Angaben darüber, wie stark der Euro im internationalen Geldverkehr und Finanzwesen genutzt wird. Haupterkenntnis dabei: Der Euro ist unverändert nach dem US-Dollar die zweitwichtigste Währung der Welt. Das zeigt sich im Zahlungsverkehr, im Devisenhandel, bei der Wahl der Währung, in der sich Kapitalunternehmen, Staaten und Institutionen international verschulden, und in den Anteilen an den Vermögensreserven der Zentralbanken. Außer mit dem Dollar wird der Euro noch mit dem japanischen Yen und dem Renminbi Chinas verglichen. Andere unbedeutende Währungen wie das britische Pfund und die Rohstoffwährungen Kanadischer und Australischer Dollar werden nur sporadisch erwähnt.

Bei den Devisenreserven der Zentralbanken der Welt ist der Anteil des Euro laut Bericht seit 2022 bei 20 Prozent konstant geblieben, der Anteil des US-Dollars um weitere zwei Prozentpunkte auf 57,8 Prozent im 4. Quartal 2024 und der des Renminbi um 0,4 Prozentpunkte weiter gesunken. Auf 9,6 Prozent zugenommen haben diverse andere Währungen wie die erwähnten Dollars aus Australien und Kanada. Den Clou der Entwicklung hebt die EZB selbst hervor: Unter den Vermögensreserven insgesamt hat das Gold mit 20 Prozent des Wertes den Euro auf die dritte Stelle (16 Prozent) verwiesen. Die Prozentsätze reflektieren zwar die aktuellen, stark gestiegenen Marktwerte des Goldes vom letzten Quartal 2024. Aber den eigentlichen Grund sieht die EZB darin, dass die Zentralbanken 2024 mehr als 1.000 Tonnen Gold zugekauft haben, doppelt so viel wie pro Jahr in der Dekade zuvor. Die Goldreserven aller Zentralbanken seien mit nun 36.000 Tonnen fast so hoch wie 1965, als das auf Gold basierte Währungssystem von Bretton Woods noch Gültigkeit hatte.

Der in zurückhaltendem Zentralbankerenglisch gehaltene Bericht bezieht sich immer wieder auf das Eckdatum im Februar 2022, als, wie es heißt, Russland den Krieg gegen die Ukraine begann. Gemeint ist aber weniger die relativ alltägliche Tatsache eines Krieges, sondern das »Einfrieren« der Guthaben der russischen Zentralbank in Dollar und Euro. Auch in der EZB findet man es offensichtlich wenig erstaunlich, dass die Zentralbanken der »nicht mit dem Westen alliierten Länder« ihre Reserven in Dollar und Euro reduziert und statt dessen in Gold aufgestockt haben. Die wichtigsten Goldkäufer seit damals waren laut Bericht die Türkei, Indien und China. Zusammengefasst heißt das, die Ära des Dollars als Weltwährung geht zu Ende. Eine Alternative zum Dollar ist nicht in Sicht – schon gar nicht ist sie der Euro, der politisch an den Dollar gekettet ist. In der turbulenten Zwischenperiode, die im Ernst 2022 eingesetzt hat, bleibt als sicheres Weltgeld nur das altertümliche und völlig illiquide Gold übrig. Der Zersetzungsprozess des internationalen Weltfinanzsystems schreitet voran.

Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Aachen

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (15. Juni 2025 um 10:27 Uhr)
    Der eigentliche Brennpunkt des Artikels ist die wachsende Bedeutung von Gold als Reservewert. Dass Gold mittlerweile den Euro in den internationalen Reserven überholt hat, ist ein deutliches Warnsignal: Nicht etwa Vertrauen in alternative Währungen, sondern Misstrauen gegenüber dem gesamten papierbasierten Finanzsystem scheint sich auszubreiten. Der starke Anstieg der Goldkäufe – insbesondere durch Länder wie China, Indien und die Türkei – zeigt, dass Staaten zunehmend auf Werterhalt und Unabhängigkeit setzen. Doch gerade hier mahnt eine kritische Betrachtung. Die Rückkehr des Goldes als »sicheres Weltgeld« mag auf den ersten Blick verständlich sein – aber sie bringt uns keineswegs eine stabilere Zukunft. Gold ist illiquide, es lässt sich nicht für Zahlungen im Alltags- oder Handelsverkehr verwenden, und es trägt nicht zur Lösung der strukturellen Probleme des globalen Finanzsystems bei. Wenn wir also auf Gold zurückfallen, ist das nicht Ausdruck kluger Finanzpolitik, sondern ein Zeichen für den Vertrauensverlust in bestehende Institutionen und Systeme. Der Artikel zeigt treffend Symptome eines krisenhaften Finanzsystems auf – doch statt nüchternen Rückzugs ins Gold bräuchte es neue, verlässliche internationale Regeln, mehr wirtschaftspolitische Unabhängigkeit Europas und eine ernsthafte Diskussion über Alternativen zur bisherigen Dollar-Dominanz. Ohne diese Reformen wird Gold nur ein letztes Refugium bleiben – aber keine Lösung.

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