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Aus: Ausgabe vom 10.06.2025, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
KI

Maschinenspielerei

Der Hype um künstliche Intelligenz flaut etwas ab. Arbeitsplätze werden dennoch abgebaut
Von Marc Püschel
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»Hört auf, Menschen einzustellen«, fordert diese Werbung in der Londoner U-Bahn

Die sogenannte künstliche Intelligenz (KI) galt in den vergangenen Jahren als ökonomischer Heilsbringer schlechthin. 2017 jubilierte etwa die Unternehmensberatung McKinsey, die KI werde zum Wachstumsmotor der deutschen Wirtschaft, der eine höhere Produktivität garantiere und neue Geschäftsfelder erschließe. Mittlerweile hat sich der Hype etwas gelegt, manche Unternehmen rudern nach übertriebenen Ankündigungen wieder zurück. So hatte das Fintech-Startup Klarna 2024 behauptet, sein auf Open AI basierender Chatbot könne 700 Mitarbeiter ersetzen. Im Mai 2025 kündigte Geschäftsführer Sebastian Siemiatkowski aber an, neben dem Einsatz von KI wieder verstärkt auf menschliche Arbeitskraft zu setzen. Man sehe jetzt die Zukunft darin, »wirklich in die Qualität der menschlichen Unterstützung zu investieren«.

Auf das Ausbleiben eines großen Umbruchs deutet auch die vergangene Woche veröffentlichte Studie »KI-Jobs in Deutschland: Stagnation statt Boom« der Bertelsmann-Stiftung hin. Über einen Zeitraum von fünf Jahren hinweg wurden rund 60 Millionen Onlinestellenanzeigen ausgewertet. Das Ergebnis ist ernüchternd: »Der Anteil der ausgeschriebenen Stellen mit KI-Bezug an allen Stellen stieg zwischen 2019 und 2024 von 1,1 auf 1,5 Prozent. Zwar nahmen die KI-Stellenanzeigen zwischen 2019 und 2022 von 97.000 auf 181.000 kontinuierlich zu. Dennoch gab es seit 2023 kaum Zuwachs (…). In absoluten Zahlen sanken die Stellenausschreibungen mit KI-Bezug 2024 sogar auf 152.000.« Außerdem fallen die meisten ausgeschriebenen Stellen in den Bereich der KI-Entwicklung; im Bereich der Anwendung lässt sich dagegen »abgesehen vom Informatikbereich keine signifikante KI-Durchdringung auf Berufsebene feststellen«. An dem Versprechen, mit der KI steige die Produktivität, hält die Studie aber fest. Wichtig sei es daher, in Deutschland mehr Menschen für die Zukunftstechnologie zu begeistern. Es wird bemängelt, dass im Jahr 2024 erst etwa 20 Prozent der deutschen Unternehmen KI einsetzten.

Während also einerseits durch KI verhältnismäßig wenig Arbeitsplätze entstehen, wird die Technologie andererseits dazu genutzt, massenhaft Stellen abzubauen. Eine Studie von Joseph Briggs und Devesh Kodnani aus dem Jahr 2023 zufolge könnten weltweit 300 Millionen Vollzeitstellen wegfallen, wenn KI großflächig eingesetzt wird. Dass es mitunter gar nicht sinnvoll ist, menschliche durch maschinelle Arbeit zu ersetzen, zeigt das Beispiel Klarna. Jedoch könnte KI in Sachen Arbeitsplatzvernichtung zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden. So rechnen laut einer am 5. Juni 2025 veröffentlichten Umfrage des Ifo-Instituts 27,1 Prozent der befragten Unternehmen damit, dass in den nächsten fünf Jahren der Einsatz von KI zum Abbau von Stellen führen wird.

Zudem droht ein Wettrennen der Konzerne, weil Manager überzeugt sind, die Konkurrenz könne durch KI davoneilen. Die Folgen sind Umstrukturierungen auf Kosten der Arbeiter. So hatte beispielsweise der US-Konzern Microsoft im Mai 2025 angekündigt, über 6.000 Stellen abzubauen, um mehr Geld in die KI- und Cloud-Entwicklung zu stecken. Andererseits kann KI auch zu einer für Unternehmen willkommenen Ausrede werden, durch Entlassungen die Profite zu steigern und hinter einer Fassade angeblich effizienter Software Arbeitszeitverdichtung für die restliche Belegschaft durchzudrücken.

Ausgeblendet wird von den meisten Studien zudem, dass ein Großteil der Arbeit nur verlagert wird, denn auch die angeblich selbstlernende KI muss erst trainiert werden. Damit ein Softwareprogramm etwa ein bestimmtes Straßenschild auf einem Bild erkennen und richtig einordnen kann, muss ihm dieses Schild tausendfach in verschiedenen Straßenszenen gezeigt werden. Dabei muss aber auf jedem Bild das Schild von menschlicher Hand markiert werden, damit die KI schrittweise ein Muster aufbauen kann, an dem sie sich orientiert. Die Arbeiter, die diese monotone Tätigkeit des Markierens übernehmen, werden Clickworker (Klickarbeiter) genannt. Stellen werden vor allem in Ländern wie Indien oder Kenia geschaffen, in denen aufgrund fehlender oder mangelhafter Arbeitsrechte die Ausbeutung maximal verschärft werden kann. Recherchen des Time-Magazins haben aufgedeckt, dass etwa Klickarbeiter des afrikanischen Startups Sama umgerechnet nur knapp zwei US-Dollar in der Stunde bekamen; andernorts ist es noch weniger.

Geschätzt zehn Millionen Menschen arbeiten rund um den Globus daran, KI-Programme zu trainieren, oft zu Hungerlöhnen und ohne klare Arbeitszeitbegrenzung. Der Hype, der hierzulande um die neuen technischen Möglichkeiten gemacht wird, dient auch dazu, zu verschleiern, dass durch KI komplexe geistige Arbeitsschritte durch eine Vielzahl einfacher Arbeitsschritte – Klicks am Fließband – ersetzt werden können. So zu tun, als sei die neue künstliche mit der alten menschlichen Intelligenz vergleichbar und erschaffe sich quasi von selbst, ist ganz im Sinne des Kapitals.

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