Kapitale Jobvernichter
Von Oliver Rast
Sie sind nur eins: Kostenverursacher, Jobvernichter, Industriezerstörer. Ja, die Kapitalbosse in der BRD. Die Bilanz ihres geschäftigen Treibens: Zum Ende des ersten Quartals dieses Jahres pressten hiesige Industrielle 5,46 Millionen Malochern den Mehrwert ab – 1,8 Prozent oder 101.000 weniger als ein Jahr zuvor. Das geht aus einer Studie der sogenannten Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft EY hervor, die dpa am Montag vorlag. Ein Trend, der anhält. Seit dem Vor-Corona-Jahr 2019 sank die Zahl der Werktätigen im verarbeitenden Gewerbe unterm Strich um 217.000, ein Rückgang um 3,8 Prozent. Noch 2018 hatte es einen Rekord mit rund 5,7 Millionen Industriebeschäftigten gegeben, wissen die Analysten von EY.
Und die »Macher« in den Konzernzentralen, kriegen die die Kurve? Mitnichten. VW-Blume, Thyssen-Krupp-Lopez und Co. drücken Absatz und Umsatz weiter in den Keller. Und schmeißen in Serie Arbeiter raus. Direkt, indirekt. Offenbar eine leichte Übung. Business as usual oder so. Nein, ein Ende des »Stellenabbaus« sei noch nicht in Sicht, weiß auch Jan Brorhilker, der bei EY »Managing Partner« ist. Der Herr mit dem ulkigen Tätigkeitstitel rechnet mit dem Wegfall von mindestens 70.000 weiteren Industriejobs. Bis Jahresende. Besonders im Maschinen- und Automobilbau hätten Firmen »Sparprogramme« initiiert. »Wir werden vorerst noch viele schlechte Nachrichten hören, bevor es wieder aufwärts geht.« Zweckoptimismus, bestenfalls.
Ein Grund für die industrielle Flaute hierzulande seien »aggressive Wettbewerber etwa aus China«, meint Brorhilker. Bloß, was soll das heißen? Die Wirtschaftskapitäne in deutschen Landen können mit Druck nicht umgehen, halten nicht stand, knicken ein. Eine Batterie von Flitzpiepen, Nichtskönnern, Tunichtguten? Offenbar.
Hat die weltweit größte Industriegewerkschaft auch eine Meinung? Die IG Metall (IGM) hatte schon im Januar ein Sofortprogramm gefordert – »zur Sicherung von Industriearbeitsplätzen in Deutschland«. Für jeden gestrichenen Arbeitsplatz müsse ein neuer entstehen, mahnte die erste Vorsitzende der Metaller, Christiane Benner, vor einem halben Jahr in Frankfurt am Main. »Alle müssen jetzt ihren Beitrag leisten, um Wertschöpfung im Land zu halten und gleichzeitig neue Arbeitsplätze und Industrien anzusiedeln.« Für beides sei keine Zeit mehr zu verlieren, betonte Benner. Ärger noch: »Ich glaube sogar, wir haben nur noch einen Schuss frei«, Hm, die »Schussaussage« klingt verdächtig. Verdächtig nach: »Verteidigungsindustrie zukunftsfähig machen«, das Motto des Positionspapiers von IGM, SPD-Wirtschaftsforum und dem Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Ein antimilitaristischer Seitenhieb nur so nebenbei.
Abgesehen davon, statistisch belegt ist: Das deutsche Kapital macht das Land zur Industriebrache. Nicht flächendeckend; gebietsweise, branchenweise schon.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Stephan K. aus Neumarkt i.d.OPf. (10. Juni 2025 um 14:28 Uhr)Es ist ganz einfach. Seit ca. 3 Jahren ist Deutschland von der materiellen Quelle der Fortsetzung des »Wirtschaftswunders« abgeklemmt. Genauer gesagt, Deutschland hat sich davon selbst abgeschnitten. Voraussetzung für das Wirtschaftswunder Teil II wie für eine relative Unabhängigkeit von den USA, waren seit den 70ern die guten und zuverlässig-stabilen Beziehungen zu Russland (Sowjetunion). Der Bruch dieser Beziehungen ist der entscheidende Grund, warum viele Industrien hier nicht mehr den Hauch einer Chance haben. Hinzu kommen Altlasten aus der »alten« Finanzkrise und aus dem Corona-(Miss)Management. Sowie eine ganze Reihe hausgemachter Fehler bei Energie- und Mobilitätswende. Außerdem gehen die Industrie, das Handwerk und die Dienstleistungs- und Logistiksektoren davon aus, dass es auf lange Zeit eine Verlagerung der Kaufkraft sowohl beim Konsum wie auch bei den Investitionen zugunsten von Rüstung, Kriegsvorbereitung und Kriegen geben wird. Wer keine Panzer und Bomber baut oder an ihnen irgendwie verdient, der hat hier auf Jahrzehnte schlechte Karten. Es sei denn, die Zeitenwender werden gestoppt. Die »Eliten« aus Wirtschaft und Politik gehen nicht davon aus, dass das irgendwem gelingen könnte oder eine relevante Kraft das überhaupt will. Im Gegenteil, sie verteidigen diese Pläne, sie wollen sie oder haben sich mit ihnen arrangiert. Dem Aktionär ist egal, wo und was produziert wird.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (9. Juni 2025 um 21:08 Uhr)In der Analyse wird der Eindruck erweckt, Kapital sei per se ein Jobvernichter – ein destruktiver Akteur, der Industrie vernichtet und massenhaft Arbeitsplätze abbaut. Doch damit wird Ursache und Wirkung durcheinandergebracht. Festzuhalten ist: Kapital schafft Arbeitsplätze. Das ist nicht nur empirisch belegbar, sondern lässt sich auch bei Marx nachlesen – etwa in seiner Analyse der Akkumulation des Kapitals. Allerdings sucht Kapital stets die höchste Rendite – ein Wesensmerkmal, das im globalisierten Kapitalismus nicht nur toleriert, sondern systematisch gefördert wird. Diese Mobilität des Kapitals ist keine zufällige Entgleisung, sondern grundlegendes Funktionsprinzip. Das eigentliche Problem liegt daher nicht im Kapital selbst, sondern in dessen Rahmenbedingungen: einer entgrenzten, globalisierten Wirtschaftsordnung, in der soziale und industrielle Standards gegeneinander ausgespielt werden können. Die Arbeitsplatzverluste hierzulande sind nicht Resultat einer »böswilligen« Kapitalstrategie, sondern Ausdruck eben jener Standortlogik, die von politischen und wirtschaftlichen Eliten über Jahrzehnte gestützt wurde – in Deutschland wie anderswo. Das Kapital zieht weiter, dorthin, wo es bessere Bedingungen vorfindet – mit Blick auf Löhne, Steuern, Regulierung. Das bedeutet: Es zerstört Arbeitsplätze hier, um sie andernorts neu zu schaffen – unter anderen Vorzeichen. Kapital ist also nicht an sich Jobvernichter – sondern Arbeitsplatzverlagerer. Der Preis dafür wird in den bisherigen Industrieregionen bezahlt. Die zentrale Frage müsste daher lauten: Wer setzt die Regeln, unter denen Kapital agiert? Und wer schützt dabei die Interessen der arbeitenden Bevölkerung?
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Leserbrief von Joachim Seider aus Berlin (10. Juni 2025 um 14:58 Uhr)Die zentrale Frage lautet aber etwas anders: Warum sollte es nicht möglich sein, eine Gesellschaft zu schaffen, in der die Wirtschaft den Menschen dient und nicht die Menschen der Wirtschaft? Denn wie beschrieben ist das Kapital ja nicht in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen. Nicht aus Unwillen, sondern weil das mit seiner natürlichen Bewegungsform nichts zu tun hat.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (10. Juni 2025 um 16:29 Uhr)Hallo! Eine Wirtschaft kann nicht dienen, weil sie kein Subjekt ist. Sie kann auch nicht der Menschheit/den Menschen dienen. (…)
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