Kartoffelkrise in Russland
Von Reinhard Lauterbach
Kartofel« ist im Russischen ein deutsches Lehnwort; der Volksmund nennt die braune Knolle liebevoll »Kartoschka«. Sie ist in Russland ein Grundnahrungsmittel wie in Asien der Reis, gilt auch als »zweites Brot«. Aber in diesem Frühjahr ist sie in Russland knapp, und Präsident Wladimir Putin sah sich Ende Mai genötigt, diese Knappheit auf einer Besprechung mit Wirtschaftsfunktionären zur Chefsache zu machen: »Ja, wir haben in diesem Jahr zuwenig Kartoffeln«, sagte Putin in seiner live im Fernsehen übertragenen Ansprache. Und er rief die »beteiligten Branchen« zu »besser abgestimmter Arbeit« auf.
Die aktuelle Kartoffelknappheit hat offenbar zwei Ursachen, eine natürliche und eine ökonomische. Der natürliche Grund waren Spätfröste im Mai 2024, als deren Folge viele der bereits gesetzten Kartoffelpflanzen abstarben und in aller Eile nachgepflanzt werden mussten. Der wirtschaftliche passt in die Logik des »Schweinezyklus«: 2023 war die Kartoffelernte ungewöhnlich gut gewesen, und die Preise waren in den Keller gerutscht. Die inzwischen gut kapitalistisch wirtschaftenden Agrarfirmen schränkten daraufhin die Anbauflächen für Kartoffeln um zwölf Prozent ein. Wozu etwas unter Kostenaufwand produzieren, was sich nicht mit Gewinn losschlagen lässt? Hinzu kommt, dass die Regierung die Subventionen für die Landwirtschaft zusammengestrichen hat.
Die Folge ist, dass die Preise für Kartoffeln in Russland in diesem Frühjahr stark gestiegen sind. Im Mai lagen sie nach Angaben der russischen Statistikbehörde um 166 Prozent über denen vor einem Jahr – die allerdings wohl auch durch die extrem reichliche Ernte des Jahres 2023 nach unten gedrückt waren, so dass die Ausgangsbasis für diese Berechnungen die tatsächliche Teuerung womöglich überzeichnet. Wie auch immer: ein Kilo Kartoffeln kostet inzwischen im russischen Einzelhandel umgerechnet zwischen 50 und 80 Cent. Das ist für viele Familien, vor allem aber Rentner, viel Geld. Um den Markt kurzfristig zu stabilisieren, importiert Russland inzwischen Kartoffeln sowohl aus Belarus, dessen Vorräte nach den Worten des dortigen Präsidenten Alexander Lukaschenko inzwischen »leergekauft« sind, als auch aus exotischen Destinationen wie China, Ägypten, dem Iran sowie sogar der Mongolei.
Ein örtliches Portal aus der burjatischen Regionalhauptstadt Ulan-Ude schrieb in patriotischer Empörung, dabei habe doch die Sowjetunion seinerzeit den Mongolen überhaupt erst den Kartoffelanbau beigebracht. Alle diese Importe sind allerdings teurer als die inländische Ware, so dass man anstelle des Begriffs »Knappheit« wohl besser den der Kartoffelteuerung verwenden sollte. Das ist freilich für die bürgerliche Volkswirtschaftslehre sowieso dasselbe: Preise spiegeln nach deren Darstellung ja Knappheiten wider.
Was in der russischen Diskussion über die Ursachen der Kartoffelknappheit bzw. -teuerung überhaupt nicht vorkommt, sind die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die Situation. Dadurch, dass einige hunderttausend Männer zur Armee eingezogen worden sind oder sich unter anderem wegen des relativ hohen Solds dorthin verpflichtet haben, fehlen sie als Arbeitskräfte sowohl in der Landwirtschaft als auch für den Eigenanbau im Schrebergarten. Gleichzeitig tritt die Armee als Großkonsument von Kartoffeln auf und entzieht diese insofern dem Inlandsmarkt. Und es rächt sich nun, dass die russische Regierung schon Mitte des vergangenen Jahrzehnts versucht hat, den Leuten den Eigenanbau im Datschengarten auszureden. Mit Argumenten wie dem, Gärten seien zur Erholung da, und wenn jeder seine eigenen Kartoffeln habe, würden die Agrarunternehmen ja an deren Verkauf nichts verdienen. Der Kleinverkauf selbstangebauter Kartoffeln auf den Märkten wurde ebenfalls eingeschränkt, weil die Regierung von den Hobbygärtnern plötzlich Steuern kassieren wollte. So geht es, wenn man eine Bevölkerung, die sich über Jahrzehnte an eine weitgehende Selbstversorgung mit Gemüse gewöhnt hatte, vom Markt abhängig machen will. Der praktisch denkende Alexander Lukaschenko wusste so auch gleich ein Rezept gegen die Kartoffelkrise: wieder verstärkt selbst anbauen. Hätte Putin mal auf ihn gehört. Die nächste Ernte kommt im Herbst.
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