Ungewissheit in Den Haag
Von Gerrit Hoekman
Geert Wilders hat seinen Lebenstraum noch nicht aufgegeben. »Mein Ziel ist es, Premierminister der Niederlande zu werden«, verkündete er am Dienstag, kurz nachdem er die alte Koalition aufgekündigt hatte. Das sieht auf den ersten Blick wie Hybris aus. Sein Problem ist nämlich, dass er im Moment politisch fast vollkommen isoliert ist. Er gilt nun erst recht als unberechenbarer Kantonist. Ein »Wegloper«. Einer, der Fersengeld gibt, sobald es ungemütlich wird. Wer will mit so einem nach der nächsten Wahl noch koalieren? Eine absolute Mehrheit, die seit dem 1. Weltkrieg keiner Partei gelungen ist, für Wilders käme einem Wunder gleich.
Dilan Yeşilgöz, die Chefin der rechtsliberalen VVD, mag eine Zusammenarbeit mit der PVV noch nicht völlig ausschließen. Am liebsten natürlich mit ihr als Ministerpräsidentin. Die jüngsten Meinungsumfragen – die allerdings noch vor dem Fall der Regierung gemacht wurden – geben ihr durchaus Anlass zur Hoffnung. So war die VVD bis dahin die einzige Partei der alten Koalition, die zulegen konnte. Eine Anzahl einflussreicher Mitglieder hat jedoch das Kapitel Wilders endgültig beendet. »Einmal und nie wieder. Das war ein sehr schlechtes Abenteuer«, sagte etwa Ed Nijpels, der vor vielen Jahren selbst schon einmal Fraktionsvorsitzender war. Caroline van der Plas, die starke Frau der Boer Burger Beweging (BBB), glaubt bereits zu wissen, wie die nächste Wahl ausgehen wird. Wilders präsentiere »seinen eigenen Wählern eine linke Regierung auf dem Silbertablett«, orakelte sie beim öffentlich-rechtlichen Sender NPO am Dienstag. Die Chance auf eine rechte Koalition komme so schnell nicht wieder. Es sind die Wähler der BBB, die laut einer Umfrage vom Dienstag am meisten bedauern, dass die Koalition gescheitert ist. Wohl auch, weil der BBB nach der Liaison mit Wilders Einbußen zu erwarten hat. Die vierte Koalitionspartei, der Nieuw Sociaal Contract (NSC), kämpft sogar um das parlamentarische Überleben. Von den 20 Sitzen, die der NSC im November 2023 mit dem Spitzenkandidaten und Hoffnungsträger Pieter Omtzigt gewinnen konnte, bleiben nach jüngsten Umfragen zwischen einem und drei Sitzen übrig. Es sieht wirklich düster aus, zumal sich Omtzigt aus gesundheitlichen Gründen aus der Politik zurückgezogen hat.
Der Niedergang des NSC haucht dem christdemokratischen CDA neues Leben ein. Die Wähler, die nur wegen des früheren CDA-Mitglieds Omtzigt zum NSC abgewandert waren, kehren offenbar reumütig zurück. Das ergäbe einen Zuwachs von bis zu 20 Sitzen, sagten Umfragen dem CDA zuletzt voraus. Aktuell sitzen nur fünf Abgeordnete im Parlament. Auch wenn Caroline van der Plas eine linke Regierung mit Frans Timmermans an der Spitze, dem wahrscheinlich gemeinsamen Spitzenkandidaten von Groenlinks und Sozialdemokraten, prognostiziert, wird die Wahl für eine eher linke Koalition keinesfalls ein Selbstläufer. Ein Regierungsbündnis aus PvdA/ Groenlinks, den linksliberalen D66, der sozialistischen SP und der Tierschutzpartei kann derzeit mit bestenfalls 60 Sitzen rechnen. Für eine Mehrheit werden aber 76 benötigt. Das wäre wahrscheinlich nur mit den Christdemokraten möglich. Außerdem: Niemand sollte Geert Wilders abschreiben. Bei der Wahl von 2023 hatte kein Umfrageinstitut sein herausragendes Ergebnis vorausgesagt.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Regio:
Mehr aus: Schwerpunkt
-
Der Schattenpremier tritt ab
vom 06.06.2025