Tanz der Schneeflocken
Von Marc Hairapetian
Müssen wir jetzt sterben, Daddy?«, fragt die kleine Ella (Ava Joyce McCarthy) angsterfüllt ihren Vater Daniel Pine (Norman Reedus) im bevorzugt Auftragsmörder beherbergenden Hotel The Continental in Manhattan. Von Vertretern dieser besonderen Berufsgruppe sind sie nämlich bei einem nächtlichen Angriff umzingelt. »Nein, nicht heute«, lautet dessen lakonische Antwort. Denn unverhofft kommt ihnen ein Schutzengel in Gestalt der so attraktiven wie gefährlichen Eve Maccaro (Ana de Armas) zur Hilfe. Die ist auf der Suche nach den Mördern ihres Vaters, die nun auch Daniel und Ella im Visier haben. Eve hat sich der weitverzweigten Mafiafamilie der Ruska Roma angeschlossen, um unter dem Deckmantel einer Ballettausbildung als kaltblütige Killerin blutige Rache zu nehmen.
Die Lakonie der Dialoge gibt Len Wisemans John-Wick-Spin-off »Ballerina« die Marschrichtung vor. Mit Schusswaffen, Äxten, Küchengegenständen und bloßen Fäusten geht Ana de Armas an die Arbeit. Die 1988 geborene Schauspielerin mit den kubanisch-spanischen Wurzeln demonstrierte bereits in Daniel Craigs Abschiedsvorstellung »James Bond 007: Keine Zeit zu sterben« (2021) ihre Kampfkünste. Nun tut sie das in der Welt des John Wick.
Bei der Deutschlandpremiere im Berliner Zoo-Palast gab sie im Interview zu: »Mein Körper war nach dem Dreh mit unzähligen blauen Flecken übersät.« Den Durchbruch schaffte sie vor zehn Jahren in Eli Roths satirischem Horrorkammerspiel »Knock Knock« an der Seite von Keanu Reeves. Als Ballerina trifft sie erneut auf den mittlerweile 60jährigen Haudegen. Dieser ist in der Rolle als John Wick allerdings nach dem vierten Teil der Reihe aus dem Jahr 2023 nicht von den Toten auferstanden, sondern mischt in einer Zeit vor seinem filmischen Ableben vor allem beim spektakulären Showdown in einer pittoresken Marktgemeinde im österreichischen Salzkammergut mit, wo Ana de Armas den von Freund wie Feind nur »Kanzler« bettelten Antagonisten Gabriel Byrne ans Leben will.
»Am liebsten hätten wir Hallstatt nie wieder verlassen«, sagt mir der Regisseur Len Wiseman, um verlegen fortzufahren: »Es tut mir leid, dass wir dort soviel Unruhe gestiftet haben …« Die Ehrenbürgerschaft dürfte ihm und Ana de Armas dennoch sicher sein, so furios ist das Finale des Films. Da tanzen die Schneeflocken, und bis auf den von der Ruskaroma geschickten John Wick und die Kinder des 741 Einwohner zählenden UNESCO-Weltkulturerbedorfes machen alle Jagd auf die Ballerina, um ihren »Kanzler« zu schützen. »Das ist Selbstmord! Das ist John Wick!«, entfährt es einem der Handlanger. »Aber er ist ganz allein«, gibt sich ein anderer angriffslustig. Wenige Augenblicke später sind beide tot.
Bei aller Metzelei gibt es erfreulicherweise auch immer wieder geradezu meditative Verschnaufpausen, wenn der stets elegant zurückhaltende Continental-Hotelmanager Winston Scott (Ian McShane) mit seinem Gast Eve Maccaro über die Vertreibung aus dem Paradies philosophiert oder eine auf einer Spieldose positionierte Miniaturballerina betrachtet und gedankenverloren Tschaikowskis »Schwanensee« lauscht. Für solche verplemperten Momente kann man das »John Wick«-Franchise auch lieben.
»From the World of John Wick: Ballerina«, Regie: Len Wiseman, USA 2025, 125 Min., Kinostart: heute
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