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Aus: Ausgabe vom 05.06.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Infrastrukturpolitik

Bilaterale Handelsroute

Erster Güterzug zwischen China und Iran ist Teil des 400 Milliarden US-Dollar schweren Wirtschaftsabkommens beider Länder
Von Lars Lange
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Produktionslinie: Automobiles Zubehör kurz vor der großen Reise (Kerman, 3.5.2025)

Ein Güterzug rollt durch die Steppen Zentralasiens – beladen mit chinesischen Solarpanels, auf dem Weg nach Teheran: Vorige Woche erreichte der erste durchgehende Güterzug zwischen China und dem Iran sein Ziel und läutete damit eine neue Ära des eurasischen Handels ein.

Die Fahrt von Xi’an nach Teheran dauerte nur 15 Tage – weniger als die Hälfte der Zeit, die Schiffe für dieselbe Strecke benötigen. Der Zug durchquerte Kasachstan und Turkmenistan, nutzte dabei Gleise, die schon seit Jahren existieren, aber nie so strategisch wichtig waren wie heute.

Die durchgehende Verbindung ist Teil des 400 Milliarden US-Dollar schweren Wirtschaftsabkommens, das beide Länder 2021 besiegelten. Was als bilaterale Handelsroute beginnt, soll sich zu einem transkontinentalen Korridor entwickeln, der Asien und Europa verbindet – und dabei alte Machtstrukturen herausfordert.

Die durchgehende Verbindung eröffnet neue Möglichkeiten für den bilateralen Handel. Besonders Irans Autoindustrie wittert ihre Chance. Der Staatskonzern Iran Khodro plant, monatlich 300 Waggons mit Rohstoffen und fertigen Fahrzeugen über die neue Route zu transportieren. Statt zwei Monate auf Containerschiffe zu warten, können iranische Autobauer ihre Materialien in 13 Tagen aus China beziehen – mit Aussicht auf eine weitere Verkürzung auf nur eine Woche.

Der iranische Grenzort Sarakhs wandelt sich vom verschlafenen Übergang zum geschäftigen Logistikzentrum. Hier entsteht ein gemeinsames chinesisch-iranisches Distributionszentrum, das Güter zwischen China, Westasien und dem Persischen Golf koordinieren soll.

Während im Roten Meer die Schiffahrtskosten um 250 Prozent steigen und der Transit um 70 Prozent einbricht, bietet die Landroute Planungssicherheit. Kein Risiko von Piratenangriffen, keine Durchfahrt des Suezkanals oder der Straße von Hormus.

Washington hatte gehofft, mit dem India–Middle East–Europe Economic Corridor (IMEC) eine Alternative zur chinesischen Seidenstraße zu schaffen. Die Route sollte über Indien, die Golfstaaten und Israel nach Europa führen und dabei sowohl China als auch Iran umgehen. Doch während IMEC noch in den Planungsordnern liegt, rollen bereits chinesische Güter durch iranisches Territorium.

Die neue Bahnverbindung umgeht nicht nur amerikanisch kontrollierte Seewege, sondern auch traditionelle russische Transitrouten. Moskau verliert Einnahmen, während Kasachstan, China und die Türkei zu den neuen Schaltstellen zwischen Ost und West werden.

Besonders pikant: Der Zug startete in Xi’an, unweit der Provinz Xinjiang, wo China wegen seiner Politik gegenüber den muslimischen Uiguren international kritisiert wird. Iran ignoriert diese Vorwürfe und setzt auf wirtschaftlichen Pragmatismus. Ideologie weicht Realpolitik – ein Muster, das sich durch die gesamte neue Handelsachse zieht.

Am 12. Mai einigten sich Eisenbahnchefs aus China, Iran, Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan und der Türkei in Teheran auf einheitliche Tarife und gemeinsame Standards – die Geburt eines neuen Handelsblocks, der zahlreiche neue Routen ermöglichen wird. Sie werden den International North–South Transport Corridor ergänzen, der Russland über den Kaukasus mit Indien verbindet. Plötzlich entsteht ein Netzwerk, das von Shanghai bis Mumbai, von Moskau bis Istanbul reicht.

Die Türkei fungiert als entscheidende Brücke nach Europa. Güter aus China können nun über Iran und die Türkei europäische Märkte erreichen, ohne russisches Territorium zu durchqueren. Das bilaterale Projekt entwickelt sich zur weitverzweigten Alternative zu westlichen Handelsrouten.

Die neue Bahnverbindung ist mehr als ein Infrastrukturprojekt – sie kann eine Zeitenwende im globalen Handel markieren. Während der Westen auf maritime Dominanz setzt, schaffen China und seine Partner Fakten auf dem Festland.

Für den Iran bedeutet die Verbindung einen Ausweg aus der Sanktionsisolation, für China eine alternative Route nach Europa. Die Gewinner sitzen in Sarakhs, Astana und Ankara – den neuen Knotenpunkten einer multipolaren Handelswelt, einer neuen Seidenstraße.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (5. Juni 2025 um 13:11 Uhr)
    Schiffe von Xi’an nach Teheran? Führt Werner Herzog dreißig Tage Regie? Wie sicher sind die Kantonisten Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan? Und der Herr Trump? Interessiert den das iranische Atomprogramm wirklich? Oder stört ihn die Bahnverbindung?

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