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Aus: Ausgabe vom 05.06.2025, Seite 8 / Ansichten

Illusionstheater

Klingbeils erstes Steuergesetz
Von Arnold Schölzel
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Am 9. Mai teilte die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit, 84 Prozent der deutschen Kommunen rechneten im laufenden Jahr mit einer »eher nachteiligen« oder »sehr nachteiligen« Haushaltslage. Nach dem 4. Juni dürfte sich der Pessismismus verstärkt haben: Der vom Merz-Kabinett verabschiedete »Wachstumsbooster«, der laut Lars Klingbeil die Wirtschaft ankurbeln wird, verringert die Steuereinnahmen von Landkreisen, Städten und Gemeinden nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) bis 2028 um elf Milliarden Euro. Vor allem in den Anfangsjahren werden sie demnach überproportional belastet. Zugleich beträgt die Steuerentlastung für Firmen 2025 lächerliche 2,5 Milliarden Euro, weshalb laut IW kein Wachstumseffekt zu erwarten ist. Die nächste Illusionsshow nach Corona-»Bazooka« und sonstiger Finanzwummerei hat begonnen.

Es geht wie bei den Meistern des Verschwindenlassens von Menschen oder Kaninchen um Sinnestäuschung. Vor allem aber um die zeitgenössische Variante der Exekution kapitalistischer Verwertungsgesetze. Demgemäß lautet der neuste letzte Schrei Rüstungskeynesianismus, bei dem Kommunen nur insofern vorgesehen sind, als es um panzertragfähige Dorfstraßen oder Bachbrücken geht. Wer Straßen bauen will, so Klingbeil, soll woanders streichen. Einen kommunalen Booster hat der SPD-Finanzminister nicht vorgesehen. Laut Deutschem Institut für Urbanistik liegt der Investitionsbedarf für den Erhalt und die Erweiterung von Schienen und Straßen in den Kommunen bis 2030 jetzt schon bei 372 Milliarden Euro. Da werden noch viele Brücken einstürzen.

Darf aber keiner sagen. Die passende Sprachregelung gab Regierungssprecher Stefan Kornelius am Mittwoch aus: »Kreislaufverkehr«. Das unweigerlich kommende Wachstum durch Steuererleichterung generiere neue Steuereinnahmen für Bund, Länder und Gemeinden.

Da lässt sich hinzufügen: Es sei denn, es gibt weder Wachstum noch mehr Steuern. Wie nach den letzten »Boostern«. Deren Ergebnis bestand vornehmlich in der erfolgreichen Umverteilung von unten nach oben – besonders während der Pandemie. Das setzt sich jetzt fort im Plündern der kommunalen Kassen. Kitas, Schulen, Arztpraxen, Seniorenpflege usw. sind aber nicht nur ein Kostenfaktor, sie stellen einen Rest von Demokratie unter der Diktatur des großen Geldes dar. Wer den Spielraum der Kommunen einengt, weiß, was er bewirkt: Verdruss und Wut.

1894 ließ Anatole France eine Romanfigur sagen, vor der »majestätischen Gleichheit der Gesetze, die es Reichen und Armen gleichermaßen verbietet, unter Brücken zu schlafen, auf der Straße zu betteln und Brot zu stehlen« sei es Pflicht der Armen als Staatsbürger, die Reichen zu unterstützen. France bezog das auf Individuen. Sein Sarkasmus erfasst nach 130 Jahren auch Gemeinwesen – gleichsam unter bröckelnden Brücken. Merz und Klingbeil machen’s möglich.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (5. Juni 2025 um 11:25 Uhr)
    Im »Frühjahrsgutachten 2025« des Sachverständigenrates kann man auf Seite 41, Ziffer 45 lesen: »Die Produktionslücke dürfte im Jahr 2025 mit –1,7 % betragsmäßig etwas größer ausfallen als im Jahr 2024. (Abbildung 15, rechts) Das anziehende BIP-Wachstum dürfte im Jahr 2026 die Produktionslücke auf –1,0 % verkleinern. Das liegt maßgeblich an den positiven Impulsen des Sondervermögens Infrastruktur und den zusätzlichen Verteidigungsausgaben. Die Schätzung des Produktionspotenzials ist jedoch mit Unsicherheit behaftet (Ochsner et al., 2024). Das 5 (95) %-Quantil ist im Prognosezeitraum kleiner als –3 % (größer als 0 %) und beschreibt die Möglichkeit, dass die Produktionslücke betragsmäßig größer (kleiner) ist als im Mittel erwartet.« Diese Vorhersage für die Gesamtwirtschaft zieht also die Möglichkeit einer Schrumpfung um drei Prozent für 2026 in Betracht. Da ist es wohl klar, dass die sowieso stark Belasteten noch etwas mehr belastet werden müssen. Soviel auch zu den faulen Deutschen.

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