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Aus: Ausgabe vom 04.06.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Polen

Tusk will es wissen

Polnischer Premier will mit Vertrauensfrage Koalition stabilisieren. Reaktionen aus den eigenen Reihen durchwachsen
Von Reinhard Lauterbach, Poznań
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Was genau sein Plan ist, verrät Premier Donald Tusk nicht (Warschau, 1.6.2025)

Wenn Donald Tusk eines kann, dann ist es siegesgewiss lächeln. So auch am Montag abend, als der Regierungschef im polnischen Fernsehen ankündigte, »in allernächster Zeit« im Sejm die Vertrauensfrage für seine Koalition zu stellen. Als Termin für die entsprechende Sondersitzung des Parlaments wurde inzwischen der 11. Juni festgelegt. Tusk behauptete, seine Koalition habe für den Fall, der am Sonntag eingetreten ist – den Wahlsieg des rechtskonservativen Präsidentschaftskandidaten Karol Nawrocki – , einen »Plan B« in der Schublade. Wie dieser Notfallplan aussieht, verriet er nicht. Aus mehreren Formulierungen in seiner Rede ging jedoch hervor, dass es ihm eher nicht darum gehen dürfte, über eine bestellte Abstimmungsniederlage vorgezogene Neuwahlen herbeizuführen.

Die Reaktion der kleineren Koalitionspartner auf Tusks Ankündigung war durchwachsen: Magdalena Biejat vom Linksbündnis sagte, die Vertrauensfrage diene dazu, den Willen der Regierungsparteien zur weiteren Zusammenarbeit zu testen. Der bei den Präsidentschaftswahlen schon im ersten Wahlgang klar abgehängte Sejmmarschall Szymon Hołownia von der Partei »Polen 2050« nannte die Ankündigung Tusks eine »theatralische Geste«, die unnötig sei. So richtig die allgemeine Charakterisierung der Vertrauensfrage war – ob sie unnötig ist, muss sich erst noch zeigen. Denn im Lager des Königsmachers vom Sonntag, der marktradikal-nationalistischen »Konföderation« von Sławomir Mentzen, wurden schon Stimmen laut, die Tusk die notorisch wankelmütige Bauernpartei PSL abspenstig machen und gegebenenfalls eine Minderheitsregierung unter deren Führung tolerieren wollen. Da scheint allerdings noch keine Einigkeit im rechten Lager zu herrschen. Denn PiS-Chef Jarosław Kaczyński brachte am Montag kurz vor der Fernsehrede Tusks eine »apolitische Expertenregierung« ins Spiel. Die Einladung von Mentzen zu Gesprächen hierüber wies Kaczyński am Dienstag aber zurück: Es stehe jemandem, der deutlich jünger sei als er selbst, nicht zu, ihn zu einem Gespräch zu bestellen.

Gleichzeitig ist es aber so, dass auch die Koalitionspartner Tusks – mit Ausnahme vielleicht der PSL, die sich immer ans rechte Ufer retten kann – letztlich von einem vorzeitigen Ende des Bündnisses mehr zu befürchten haben als davon, sich bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2027 weiterzuschleppen. Denn aktuell hätte die Koalition nach Umfragen keine Mehrheit. Und vielleicht geht es mit ihrem Sturz sogar schneller: Wenn nämlich der ab August amtierende Präsident Karol Nawrocki die Gelegenheit ergreift, den Haushaltsentwurf für das kommende Jahr mit seinem Veto zu stoppen. Dann müssten Neuwahlen schon im Frühjahr 2026 stattfinden.

Insofern sind alle Versicherungen seitens der Regierungsparteien, jetzt aber erst recht an der Verwirklichung ihres Programms zu arbeiten, mehr Pfeifen im Walde als reale Optionen. Adrian Zandberg von der Partei »Razem« sagte am Dienstag im Sejm, die Koalition hätte sich besser damit beschäftigt, reale Probleme einfacher Leute zu lösen, als jetzt mit der Vertrauensfrage zu spielen. Die Niederlage ihres Kandidaten Rafał Trzaskowski sei eine Folge der Nichterfüllung von Wahlversprechungen und insofern selbst verschuldet.

Gesellschaftspolitische Reformen wie die Zulassung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften oder eine Liberalisierung der Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch ließen sich zwar in Gesetzesform gießen – was aber nur dazu führen dürfte, dass der noch amtierende Präsident Andrzej Duda oder sein designierter Nachfolger ihr Veto einlegen. Damit stehen sie zwar als Verhinderer da, aber für eine Wählerschaft, der Tusk vor der letzten Parlamentswahl »100 konkrete Schritte« versprochen hatte, dürften solche Schuldzuweisungen kaum ausreichen, um sie zufriedenzustellen. Mit ziemlicher Sicherheit vom Tisch ist für den Rest der Legislaturperiode derjenige Programmpunkt, mit dem die Tusk-Koalition seit 2023 Aktivität mehr vorgetäuscht als gezeigt hatte: die »Abrechnung mit der PiS«.

Es hat bisher dazu ein paar Untersuchungsausschüsse im Sejm gegeben, die von der PiS offen boykottiert und verhöhnt wurden, und ein paar Urteile. Einer der Verurteilten, der frühere Justizstaatssekretär Marcin Romanowski, hatte sich dem Strafantritt durch die Flucht nach Ungarn entzogen. Viel passieren dürfte auf diesem Feld jetzt nicht mehr. Nicht nur, weil Nawrocki alle Verurteilten beliebig begnadigen kann, sondern vor allem, weil der Eifer der Staatsanwaltschaften, gegen Vertreter der alten Mannschaft zu ermitteln, mit dem Wechsel im Präsidentenpalast schlagartig erlahmen dürfte. »Die Staatsanwälte wissen auch, woher jetzt der Wind weht«, brachte es einer der befragten Experten im Warschauer Sender TOK FM auf den Punkt. Mehr als eine Regierung »lahmer Enten« hat Polen aus jetziger Sicht in den kommenden Monaten nicht zu erwarten.

Hintergrund:Trumps Mann

Die öffentlichen Gratulationen zum Wahlsieg des rechtskonservativen Kandidaten der früheren Regierungspartei PiS, Karol Nawrocki, haben sich bisher in Grenzen gehalten. Glückwünsche kamen zunächst aus Ungarn, von Marine Le Pen und Giorgia Meloni. Dann schloss sich Donald Trump an: Polen habe »Einen Gewinner gewählt«, schrieb der US-Präsident tautologisch in seinem Onlinenetzwerk »Truth Social«.

In der Tat haben die US-Republikaner die PiS seit dem Regierungswechsel im Oktober 2024 heftig unterstützt. Erst wenige Tage vor der Wahl war auf dem ersten Ableger der ultrarechten US-Konferenz CPAC in Polen Trumps Heimatschutzministerin Kristi Noem aufgetreten und hatte gedroht, nur bei einem Wahlsieg von Nawrocki könne das Land auf die Fortdauer des engen Bündnisses mit den USA hoffen. Ein anderer US-Teilnehmer sagte laut dem polnischen Portal Oko.press, »Polen« habe zum Sieg von Trump beigetragen, jetzt zahle »Amerika« diese Dankesschuld zurück.

Unter anderem, indem Nawrocki auf der Wahlkampfreise zu Auslandspolen in den USA Gelegenheit zu einem Fototermin im Oval Office bekam und so internationale Erfahrung vortäuschen konnte, die ihm in der Sache völlig abgeht. Vor allem aber stehen mit hoher Wahrscheinlichkeit die US-Republikaner hinter der Gründung und dem rapiden Ausbau des rechten Propagandasenders TV Republika. Er ist inzwischen zum reichweitenstärksten Nachrichtenprogramm auf dem polnischen Medienmarkt geworden, obwohl von Nachrichten im traditionellen Verständnis bei diesem Programm nicht geredet werden kann. (rl)

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (3. Juni 2025 um 22:07 Uhr)
    Tusk bekommt es zu wissen – ob er will oder nicht! Die Wahl bestätigt einmal mehr die tiefe gesellschaftliche Spaltung in Polen, die bereits bei den Parlamentswahlen im Herbst 2023 deutlich wurde. Damals verlor Jarosław Kaczyńskis PiS die Macht – nun trifft es symbolisch Donald Tusk. Der Sieg Karol Nawrockis markiert keinen politischen Umbruch, macht aber die bestehenden Konfliktlinien unübersehbar. Der knappe Wahlausgang ist kein Erdrutsch, sondern ein deutliches Warnsignal: Ein derart gespaltenes Land kann auf Dauer weder demokratisch noch gesellschaftlich stabil bleiben. Mit Karol Nawrocki steht nun ein politisch unerfahrener, aber entschlossen auftretender Präsident an der Spitze des Landes. Der Regierung drohen erhebliche Blockaden – innenpolitisch ebenso wie auf europäischer Ebene. Sollte Nawrocki der Regierung entsprechende Signale senden – was sehr wahrscheinlich ist –, könnten kleinere Koalitionsparteien versucht sein, Gespräche mit der PiS oder anderen Oppositionskräften aufzunehmen. Die Gefahr vorgezogener Neuwahlen wächst – obwohl regulär erst in zweieinhalb Jahren gewählt werden soll.

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