Wiesen, die lachen
Von Helmut Höge
Auf einer wunderschönen Wiese in der Rhön fanden manchmal Lesungen statt. Ich las dort einen Text über »Lachende Wiesen«: Wir können uns keine lachende Wiese mehr vorstellen. Sie ist über Homer und dann das latinisierte Griechisch, schließlich das christianisierte Latein zu uns gelangt – als Paradebeispiel für eine Metapher. Den Poetiken und Rhetoriken des Mittelalters galt ihr Lachen als »uneigentliche Rede«, dahinter verbarg sich die »eigentliche«: eine blühende Wiese. Der Philosoph Friedrich Kittler erklärte dazu in einer seiner Vorlesungen über Griechenland:
»Dass Odysseus und seine Gefährten auf dem Schiff guten Grund hatten, jedem Schluck Süßwasser als einer göttlichen Nymphe oder Muse zu danken, fiel faulen dicken Mönchen, diesen Gefangenen in Kloster- und Universitätszellen, nicht mehr ein. Hinter der Harmlosigkeit lachender Wiesen verbargen sich also die schönen, für Christen jedoch bedrohlichen zwei Möglichkeiten, dass entweder die Götter auf Wiesen anwesend oder aber die heidnischen Dichter Wiesen zu Göttinnen verzaubern können.«
Und so wurden aus den Nymphen bloße Metaphern. Ähnliches geschah mit der griechisch-heidnischen »Mimesis« – Nachahmung, das die Scholastiker mit »imitatio« bzw. »repraesentatio« übersetzten –, was bei Thomas von Aquin zum Beispiel heißt, dass jemand (ein Dichter) etwas (zum Beispiel eine Metapher) für jemanden (einen Hörer oder Leser) darstellt. Was bedeutete nun aber »Mimesis« ursprünglich? Dazu wieder Kittler:
»Denken Sie von den Göttern nicht zu abstrakt … Ohne Götter, die miteinander schlafen, gäb es keine Sterblichen, ohne Eltern, die miteinander Liebe machten, keines von uns Kindern. So bleiben einzig Dank und Wiederholung. Nichts anderes heißt bei den Griechen, solang sie dichten, Mimesis, Tanz als Nachvollzug der Götter« bzw. »göttlicher Liebestaten«.
Als die Wiesen noch lachten – zu Beginn unserer Zivilisation –, war noch alles voller Götter und Göttinnen, Musen, Nymphen, Halbgötter und Heroen. Umgekehrt konnten alle Götter sich in Tiere, Menschen, Pflanzen, Wolken, Stürme und Nebel verwandeln – wenn es zum Beispiel galt, eine Jungfrau zu verführen: aus Lust und um neue Helden zu zeugen. Bei dem »musenverlassensten Volk Europas«, den Römern, wurden die Götter erst entsexualisiert und schließlich im Christentum auf einen reduziert.
Bei den Griechen waren Mensch und Tier noch ungetrennt: »zoon«. Der Begründer der modernen Zoologie, Jean-Baptiste de Lamarck, postulierte 1809 in seiner »Philosophie zoologique«: An der Komplexität heutiger Lebewesen könne man abschätzen, wann sich deren Urzeugung vollzogen hat. Was bedeutet, dass der Mensch als das Lebewesen mit der höchsten Komplexität, das älteste Lebewesen auf der Erde wäre.
In der Bibel ist dagegen das Wiesengras sehr viel älter als der Mensch, denn dieser wurde erst an Gottes letztem Werktag geschaffen – indem er ihn sich, wie überhaupt die ganze Welt, einfach vorstellte und wollte – nämlich: »Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.«
Nun gibt es schon lange keine »alten Griechen« mehr, wohl aber noch Reste von anderen »heidnischen« Völkern, die manchmal nur noch ein Dutzend Menschen umfassen. Was sie jedoch eint, ist ein anderes Weltbild – und damit gegebenenfalls auch ein anderes Verständnis von lachenden Wiesen.
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