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Aus: Ausgabe vom 03.06.2025, Seite 10 / Feuilleton
Film

Männer, die Bananen verzehren

Das Kurzfilmfestivals Vienna Shorts zeigte, was in wenigen Minuten geht
Von Barbara Eder
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Ein Festivalmotto gab es auch: »Move Closer! Radikale Intimität«

Dichtes Gedränge am Dienstag abend vor dem Wiener Gartenbaukino: Filmstudenten mit Stoffbeuteln, Mitglieder der Festivalcrew mit Badges, dazwischen ein Hauch von Vintage. Moderiert hat den Eröffnungsabend der 22. Ausgabe von Vienna Shorts Performerin Denice Bourbon, an ihren Ohren baumelten Gehänge mit vier Buchstaben: C – U – N – T – ein selbstbewusstes Statement, das nicht bei allen ankam. Selbst in den vorderen Reihen hätte die Botschaft niemand entziffern können, auf der Bühne verlieh Bourbon dem Akronym nochmals eine andere Bedeutung – in Vorausschau auf einen Filmblock des fünftägigen Festivals: See you next time – bei der New York Times.

Die New York Times ist nicht unbedingt als Instanz für kinematografische Tiefenbohrung bekannt. Und doch war es ihr Kritiker Dennis Lim, der 2006 dem österreichischen Kino das Etikett »feel-bad cinema« verpasste. Zu Recht: Nationale Filmgrößen wie Ulrich Seidl kultivieren die Lust am voyeuristischen Ausstellen, anstatt kritisch nach oben zu sehen, zeigen sie Deklassierte in vermeintlich authentischen Posen. Für die Kurzfilme dieses Festivals gilt dies nur bedingt. Alexandra Garcia, Journalistin der New York Times, sorgte mit Auszügen aus »Op-Docs« – einer Plattform für journalistische Kurzfilme – für internationale Perspektiven. Zwei weitere Programme widmeten sich dem Thema Krieg und Frieden, darunter auch der knapp einminütige Underground-Antikriegskurzfilm »Mickey Mouse in Vietnam« von 1968, der über Jahrzehnte hinweg zensiert wurde.

Bei Vienna Shorts, so der Grundtenor, soll für alle etwas dabei sein – vom Kunststudentenflitzer bis hin zum animierten Experimentalfilm. Wer sich bewegt zeigt, ist erwünscht. Wer sich berührt fühlt, hat recht. Und wer Inkommensurables nebeneinanderstellt, hat bereits gewonnen. Das diesjährige Motto »Move Closer! Radical Intimacy« ließ auch unerwünschte Annäherungsversuche zu. Flurina Schneider und Hoda Taheri wollten mit ihren bei der Eröffnung zu sehenden Kurzstreifen vor allem »intimacy without sex« zeigen: Hier die poetischen Annäherungsversuche eines schwulen Paares, das sich – zum Erstaunen der Regisseurin – vor der Kamera dann doch nicht so explizit zeigen wollte, dort die militante Befragung einer Exiliranerin, die ihrem Partner nach einem lustvoll inszenierten Verhör eine Rose zwischen die Arschbacken steckt.

Synergieeffekte, so scheint es, wollte man bei Vienna Shorts großzügig nutzen: So stand ein Werk der Experimentalfilmpionierin Barbara Hammer völlig unvermittelt neben einer auratisch aufgeblasenen Gesangseinlage von Hyäne Fischer – als Vorbote des ursprünglich für die Berliner Volksbühne inszenierten Festwochenspektakels »Weiße Witwe« von Kurdwin Ayub. Die Regisseurin zeichnet auch für das Musikvideo »Hodenlos an die Macht« verantwortlich – mitten im »Festjahr Johann Strauss 2025«. Gemeinsam mit dem Kurzfilmfestival hat die Wien Holding deshalb das Programm »Donau so blau – Ein Evergreen in neuem Licht« kuratiert, das demnächst auch beim Kinosommer am Wiener Rathausplatz zu sehen sein wird. Und weil man bei Vienna Shorts gern feiert, gab es in der Innenstadt ein Festivalcenter: In einem Raum am Areal des Wiener Museumsquartiers, diesem exquisiten Kulturbezirk mit internationaler Strahlkraft, konnte man sich ungezwungen miteinander kurzschließen.

Auf dem öffentlich finanzierten, zugleich aber kulturindustriell bespielten Gelände stand während des gesamten Festivals auch ein zum Kino umgebauter Bus, darauf die Aufschrift Milieukino. »Ich habe überhaupt keinen Ehrgeiz verspürt, mich zu beweisen – mit Kurzfilmen, bei irgendwelchen Festivals, mit dieser Konkurrenz«, sagt Max Kaufmann, selbst Filmemacher und Besitzer des mobilen Kinos. Im Wagenplatzmilieu von Wien sei die Idee dazu entstanden, der für 15 Zuseher umgebaute Lkw mit Filmvorführmöglichkeit wurde für den ungewöhnlichen Standort eigens angefragt. Auch dort flackerten fünf Tage lang Programme ohne klare kuratorische Handschrift vorüber, der Antiheimatblock »Wien. Mit Liebe« war nur eines davon. Die Schau »Fe/Male Gaze – Blicke, Körper und die Logik des Sehens« präsentierte am Sonnabend mit »The Male Gaze Recipe« ein großmütterliches Kochrezept, dessen Ingredienzien in einer Vulva verschwinden. Männer, die Bananen verzehrten, parodierten im schwedischen Kurzfilm »Maneater« die Konventionen des Pornofilms. Filmemacher Jan Soldat näherte sich dem Mythos der »schönen Leich« und zeigte in »Beautiful Dead Women« Found Footage von toten Frauen aus der Krimiserie »Ein Fall für zwei«. Sie sehen nicht – und sind doch sichtbar. So wie Kurdwin Ayub, die mit der Schau »Radikal Intim« ihre Festivalpräsenz nochmals verstärkte: Kurdwin, stilistisch nah an Ulrich Seidl, singt vor laufender Webcam, führt sich vor und bewirbt sich dann als Model. Wo andere ihren Blick auf die Welt richten, verharren einige im Spiegelstadium der Selfie-Produktion. Vienna Shorts hat ihnen häppchenweise eine Bühne geboten. Schließlich ist die Lieblingsspeise von Stefanie Sargnagel und Denice Bourbon dieselbe: Buffet.

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